Darkover 06 - Die Flamme von Hali
»Konntest du nichts für sie tun?«, fragte Eduin. Saravio war doch sicher wie jeder andere Laranzu auch als Überwacher ausgebildet worden. Vielleicht hatte er diese Fähigkeiten sogar eingesetzt, wenn auch auf ungewöhnliche Weise, um Eduins Zwang eine Weile zu mildern.
Saravio schüttelte den Kopf. »Naotalba wünschte es nicht. Ich weiß nicht, welche Pläne sie für das Kind hatte, wieso sie sie in die Arme von Avarra, der dunklen Herrin, legte. Aber in ihrer Gnade hat Naotalba mir erlaubt, den Schmerz des Kindes zu lindern.«
Naotalba? Eduin blinzelte und war einen Augenblick vollkommen verblüfft. Von allen möglichen Erklärungen für Saravios geheimnisvolles Verhalten war dies die unerwartetste.
Wie jeder andere gebildete Bewohner von Darkover kannte Eduin die Legenden von Naotalba, der Unglückseligen, der Braut Zandrus. Sie war vielleicht einmal ein Mensch gewesen, ein Opfer des Herrn der sieben gefrorenen Höllen. Ihr Name wurde nun als Fluch benutzt, und man ging davon aus, dass es einer unverheirateten Frau Unglück brachte, sich wie sie in Mitternachtsschwarz zu kleiden, die Farbe eines sternenlosen Himmels. Eine andere, hoffnungsvollere Version berichtete, dass sie so schön gewesen war und ihre Trauer darüber, die Welt verlassen zu müssen, so groß, dass Zandru ihr gestattete, jeweils für die Hälfte des Jahres zurückzukehren, und dann brachte sie den Frühling und den Sommer.
Eduin hatte sich nie besonders mit diesen Geschichten beschäftigt. Das war alles abergläubischer Unsinn. Was konnte eine mythische Halbgöttin mit der Heilung eines kranken Kindes zu um haben?
»Sie ist zu mir gekommen«, berichtete Saravio, der nun die Augen geschlossen und den Kopf zurückgelegt hatte, sich leicht hin und her wiegte. »Sie hat mit mir gesprochen. Sie hat die ganze Welt vor mir ausgebreitet wie einen Wandbehang. Sie versprach, dass sie mir gehören würde, wenn ich tat, was sie verlangte. Am nächsten Morgen erwachte ich mit ihrem Kuss auf meiner Stirn.«
Er fuhr sich mit der Hand über die bleiche Stirn. »Ich allein war auserwählt, ihr Streiter zu sein. Sie hat mir aufgetragen, den Schmerz der Welt zu heilen. Mir allein hat sie dieses Geschenk gewährt. Ich ging mit den Neuigkeiten zu meinem Bewahrer, denn damals glaubte ich immer noch, dass es Hoffnung für die Türme gab.«
Eduin wich unwillkürlich zurück. Er konnte sich die Reaktion von Auster von Arilinn oder von Hestrals Bewahrer Loryn Ardais oder selbst von Varzil Ridenow, der nun in Neskaya herrschte, auf eine solche Ankündigung gut vorstellen. Geistige Stabilität war für die Matrix-Arbeit von entscheidender Wichtigkeit, und kein Mensch, der bei Verstand war, behauptete, mit Göttern zu kommunizieren.
Aber warum eigentlich nicht?, dachte er. Der Skorpiongeist seines toten Vaters träufelte jede Nacht sein Gift in seine Ohren.
Saravio öffnete die Augen wieder und ballte die Fäuste. »Weißt du, was sie gesagt haben? Sie haben mir verboten , Naotalbas Geschenk zu nutzen! Sie haben mich ausgestoßen! Und warum? Wegen einer idiotischen Regelung, die besagt, dass man sich nicht in den Geist eines anderen einmischen darf. Als ob Zandrus Braut an ihre kleinliche Tyrannei gebunden wäre!«
Sich nicht einmischen… Eduin verspürte einen Augenblick lang Panik, denn das grundlegendste Gesetz der Laran -Arbeit schrieb vor, niemals ungebeten in die Gedanken eines anderen einzudringen. Das hatte er schon an seinem ersten Tag der Ausbildung in Arilinn geschworen.
Und bei der Belagerung von Hestral habe ich diesen Schwur gebrochen , erinnerte er sich. Aber war das wirklich so schlimm? Er hatte der Belagerung ein Ende gemacht und den Turm gerettet. Es lag nur an Varzil Ridenows gnadenlosem Groll, dass man ihn nicht als Helden gefeiert und zum Bewahrer gemacht hatte. Was Eduin getan hatte, würde unter Carolins Pakt doppelt ungesetzlich sein, denn diese Übereinkunft verbot sowohl jede Benutzung psychischen Zwangs als auch jede Waffe, die töten konnte, ohne ihren Benutzer der gleichen Gefahr auszusetzen. Eduin hielt diese Idee für lächerlich. Die Menschen würden stets alle Macht einsetzen, die ihnen zur Verfügung stand, selbst wenn sie sich auf eine eingebildete Gestalt berufen mussten, um das zu rechtfertigen.
Und dennoch…
Er erinnerte sich daran, was Auster, der Bewahrer, der ihn ausgebildet hatte, gesagt hatte: dass Menschen Mythen und Legenden erfanden, um zu erklären, was sie
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