Darkover 06 - Die Flamme von Hali
nickte, obwohl er nicht vollkommen sicher war, wovon Saravio sprach. Sein Kopf mochte ein wenig klarer sein als seit langer Zeit, aber er hatte immer noch Schwierigkeiten zu denken. Das Lied klang noch in ihm nach, ließ ihn in verträumte Mattigkeit sinken.
»Ich glaube, dass Naotalba auch zu dir gesprochen hat«, flüsterte Saravio, und sein Atem zischelte zwischen seinen Lippen. »Bis jetzt war ich der Einzige, der sich gegen ihre Feinde stellen konnte, und du hast gesehen, was aus mir geworden ist. Ich lebe in diesem Rattenloch, abhängig von der Wohltätigkeit anderer, und habe keinen einzigen Menschen, der mir folgt und die Wahrheit hört. Ich sage dir, mein Freund, mehr als einmal war ich schon der Verzweiflung nahe. Aber Naotalba sorgt für ihren Diener. Sie hat dich zu mir gebracht.« Saravio packte Eduins Schultern und schob sein Gesicht ganz dicht vor das von Eduin. Schweiß brach auf Saravios Stirn aus, und seine Augen traten hervor, sodass winzige rote Blutgefäße zu erkennen waren. »Sie hat dich doch zu mir gebracht? Oder… oder wurdest du geschickt, um ihr Werk zu zerstören? Antworte schnell!«
Nun zitterte er noch heftiger, und seine Wangen waren dunkelrot angelaufen. Er bohrte die Finger wie Krallen in Eduins Hals.
Eduin spürte, dass sich wieder Druck gegen seine geistigen Schilde aufbaute. Wenn er nicht die richtige Antwort gab, würde Saravio ihn vielleicht erwürgen.
Du hast Recht, sie hat mich zu dir geschickt , antwortete er von Geist zu Geist, sodass Saravio ihn nicht einer Lüge bezichtigen konnte. Er benutzte die Deslucido-Gabe, wie sein Vater ihn gelehrt hatte, die Gabe, die es ermöglichte, selbst unter einem Wahrheitsbann zu lügen und seine Gedanken so zu formen, dass sie vollkommen ehrlich wirkten.
Lange Zeit reagierte Saravio nicht. Eduin fragte sich schon, ob er das Falsche gesagt hatte. Vielleicht war Saravio so aufgeregt, dass er die geistige Botschaft nicht wahrgenommen hatte. Dann ließ der Druck an seiner Kehle nach.
»Du hast ihre Prüfung bestanden, als du mich geheilt hast«, keuchte Eduin. »Und jetzt bin ich hier… , um dich anzuleiten… bei deinem großen Werk.«
»Ich wusste es!«, rief Saravio triumphierend und ließ Eduin los. »Ich wusste, dass sie ihren Auserwählten nicht im Stich lassen würde!«
Nun gut , dachte Eduin, während er sich den Nacken rieb, und achtete darauf, dass keine Spur seiner Gedanken durch seine Barrieren drang. Naotalba oder irgendeine andere Göttin, was zählt das dieser Tage schon?
Lange Zeit hatte sein einziges Ziel darin bestanden, sich von einem Auftrag zu befreien, den er unmöglich erfüllen konnte. Als bettelarmer Flüchtling ohne eine Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen - es sei denn mit Fähigkeiten, die ihn verraten hätten -, hatte er keinerlei Gelegenheit gehabt, König Carolin zu töten. Nun verspürte er zum ersten Mal wieder so etwas wie Hoffnung - Hoffnung, dass er sich mithilfe dieses Fremden, wie seltsam er auch sein mochte, für immer von dem Fluch befreien konnte, mit dem sein Vater ihn auf dem Totenbett bedacht hatte.
»Ich wusste es - ich wusste es einfach!«, wiederholte Saravio und hüpfte auf dem Strohsack auf und ab wie ein kleines Kind. »Ich wusste es einfach!«
Dunkle Avarra, er ist nicht nur seltsam, er ist vollkommen verrückt!
Eduin stand auf, denn er hielt es für sicherer, für eine Weile zu verschwinden. Er hatte bereits genug von Saravios Stimmungsschwankungen erlebt, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie unsicher, wie gefährlich sein Gemüt war. Bevor Eduin sich jedoch der Tür zuwenden konnte, erstarrte Saravio. Seine Augen traten noch weiter hervor, und das Weiß stand in starkem Kontrast zu seinen rot angelaufenen Wangen. Er bog sich nach hinten durch und fiel mit einem lauten Krachen auf den Strohsack. Linen Augenblick lag er dort so reglos, als wäre er tot.
Die Tür war nur ein oder zwei Schritte entfernt. Eduin hätte sofort verschwinden, sich in der vertrauten Anonymität der Straßen und Gassen verlieren können. Jeder Instinkt schrie ihm zu, er solle fliehen und sich verstecken. Ihm blieben vielleicht noch ein paar Stunden oder sogar Tage, bevor der Zwang zurückkehrte. Dennoch, er zögerte.
Saravios nächster Atemzug war ein heiseres Keuchen. Er bog den Rücken so durch, dass er nur noch auf dem Hinterkopf und der Hüfte ruhte.
Eduin war in Arilinn, in einem der ältesten, geachtetsten Türme
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