Darkover 06 - Die Flamme von Hali
Herzschlag sich verlangsamte… innehielt…
… und wieder einsetzte, ein leichtes Poch-Poch, während die angespannten Muskeln sich entkrampften und die gepeinigte Mutter den Atem einsog.
Obwohl die Berührung ihr Laran verstärkt hatte, konnte Dyannis den Zustand des Babys nicht unmittelbar bestimmen. So etwas war bei den Geburten, an denen sie bisher teilgenommen hatte, noch nicht vorgekommen. Wieder bäumte sich der Körper der Frau unter ihren Händen auf.
»Press!«, schrie Dyannis und vertraute ihrem Instinkt, das Baby so schnell wie möglich herauszubekommen. »Nun press doch schon!«
Hinter ihr klopfte Braulio an die Tür. »Ich bringe das heiße Wasser… «
»Später!«, brüllte Dyannis. »Na los, Annalise, press!«
Mit einem seltsamen, erstickten Aufschrei bäumte die gequälte Frau sich wieder auf, umklammerte ihre Knie, das Kinn angezogen, das Gesicht vor Anstrengung verzerrt. Für einen langen Augenblick gab sie keinen Laut mehr von sich, aber jede Faser in ihrem Körper bebte. Dyannis spürte, wie das Baby sich qualvoll langsam bewegte.
»Ah!«, rief Annalise. Ihr Kopf sank auf das Bett zurück. Dyannis griff gerade noch rechtzeitig herum, um den nassen kleinen Kopf zu packen, als er erschien. Einen Herzschlag danach folgte eine Schulter der anderen, und das Neugeborene glitt in ihre Hände. Die Nabelschnur war eng um den Hals des Babys geschlungen. Dyannis riss sie los. Das Baby lag da, heiß und reglos.
O gebenedeite Cassilda!
Braulio, der lautlos das Zimmer betreten hatte, schob Dyannis ein gefaltetes Tuch zu. Da sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, rieb sie die kleine Gestalt mit dem rauen Stoff ab. Plötzlich zuckte das Baby zusammen und begann zu schreien. Dyannis schossen die Tränen in die Augen, als sie das kleine Mädchen in ein zweites Tuch wickelte und seiner Mutter reichte. Dann trat sie zurück, als Braulio seine Frau und seine neugeborene Tochter umarmte.
Sie wartete, bis sie sicher war, dass Mutter und Kind wohlauf waren. Es gab nicht mehr viel für sie zu tun, außer aufzuräumen. Annalise legte das Baby vertrauensvoll an, und kurz darauf schliefen beide ein.
Braulio dankte Dyannis überschwänglich, als hätte sie ein Wunder vollbracht. Dyannis fand, das einzige Wunder sei der Vorgang der Geburt gewesen. In Wahrheit hätte jede andere Frau mit einem Minimum an Erfahrung oder gesundem Menschenverstand das Gleiche tun können, und Dyannis wäre ziemlich hilflos gewesen, falls etwas schief gegangen wäre.
Dyannis ritt zum Herrenhaus zurück, ernst und nachdenklich. Ihr Pferd ließ den Kopf hängen, es kannte den Weg. Es gehörte hierher, im Gegensatz zu ihr. Sie konnte über hunderte von Meilen eine Relais-Botschaft verschicken, mit der Kraft ihres Geistes eine Steinmauer wieder aufbauen, durch ihre Gedanken einen Drachen beschwören und sich in der Überwelt bewegen. Doch nun empfand sie Demut angesichts der Geburt, angesichts der wogenden Hügel, der fernen Höhen, der klaren Selbstgewissheit ihres Reittiers.
Ich muss sein, was ich bin - eine Leronis von Hali . Sie würde sich von dem abwenden, was sie als Unterbewahrerin getan hatte. Einem anderen, Würdigeren ihren Platz überlassen. Es gab in dem Kreis genug Arbeit, bei der ihre Kraft und Erfahrung gebraucht wurde.
Als sie ihre Rückkehr zum Turm und in die Gemeinschaft der Arbeiter erwog, die über die Gabe verfügten, wurde eine unsichtbare Bürde von ihren Schultern genommen. Sie krümmte den Rücken und streckte sich, sog tief die feuchte Nachtluft ein. Das Pferd begann schneller zu traben, als wollte es sie rascher auf den Weg bringen.
Sobald Dyannis das Haus erreicht hatte, wusste sie, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Sie würde noch eine Weile in Sweetwater bleiben, bis Lerrys das Erwachen seines Laran erlebt hatte. Das konnte nicht mehr lange dauern, seiner zunehmenden Gereiztheit nach zu urteilen. Dann würde sie nach Hali zurückkehren, vielleicht sogar noch rechtzeitig für den Mittsommer.
Äußerst zufrieden ritt sie in den Hof ein, nahm dem Pferd das Zaumzeug ab und ließ es in der Koppel frei. Dann betrat sie zu einer wohlverdienten Ruhepause das stille Haus.
Der Mittsommer kam, und Lerrys war noch immer nicht zur Reife gelangt. Das Fest wurde dieses Jahr in bedrückter Stimmung begangen. Es schien kein Familienmitglied zu geben, das Dyannis nicht grollte. Lerrys zog sich wie viele Heranwachsende, die sie in
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