Darkover 06 - Die Flamme von Hali
zum mächtigsten Bewahrer auf Darkover entwickelt. Vielleicht entsprach seine Geschichte wirklich den Tatsachen.
Als sie ihr keuchendes, verschwitztes Pferd gezügelt hatte, stand die große Rote Sonne bereits über dem Horizont. Der Wallach zerrte an der Beißstange und wollte eindeutig weiterlaufen. Sein Körper verströmte Hitze.
Dyannis blickte kurz dorthin zurück, woher sie gekommen waren. Sie befanden sich tief in den Hügeln. Etwas in ihr entspannte und entfaltete sich. Zum ersten Mal seit längerer Zeit, als sie zurückdenken konnte, war sie allein, wahrhaft allein. Sie öffnete ihren Geist und spürte lediglich die einfachen Gefühle von Tieren - das Pferd unter ihr, Rabbithorns mit ihrem frischen Wurf, die sich in den Gängen versteckten, einen kreisenden Falken, Mäuse und Vögel, den fernen Pferch mit Schafen hinter dem Hügelkamm. Und dort, in ihrer Zuflucht verborgen, die Ya-Männer und ihren Gesang.
Und sie besaß das Laran , um sie zu hören.
Sie konnte dem nicht entrinnen, was sie war, so wenig, wie sie sich im Bewusstsein eines galoppierenden Pferdes verbergen konnte. Sweetwater war eine Etappe, nicht das Ziel.
29
Dyannis zog in Begleitung von Haralds Eskorte los, um sich zur Herstellung von Kirian mit Kireseth zu versorgen. Hoch oben in den Bergen stieß sie auf die Ansammlungen glockenförmiger, mit Pollen beladener Blüten. Sie bestand darauf, dass die Männer in sicherer Entfernung blieben. Die Ernte ging ohne Zwischenfälle vonstatten, denn der Tag war ruhig, beinahe windstill, und die Pollen lagen wie goldener Staub auf den Blättern. Sie wickelte die Blüten vorsichtig ein, verstaute sie in einer versiegelten Ledertasche und trug sie in das stille Haus mit den Steinmauern.
Sie ging in dem Raum, den sie als Labor eingerichtet hatte, umher und spülte, maß ab, bereitete die Destillation vor. Die Ärmel hochgekrempelt, das Haar mit einem alten Schal bedeckt und eine Schürze um die Hüften gebunden, fühlte sie sich wie eine Leronis und nicht wie eine verwöhnte und nutzlose Lady. Die Arbeit beruhigte sie, erinnerte sie an die Fähigkeiten, für deren Erwerb sie so hart trainiert hatte.
Dyannis stellte fest, dass sie sang, aber es war eine traurige Melodie, von Verlust geprägt. Je mehr Zeit verstrich, die Zehntage einander ablösten, desto größer wurde ihre Sehnsucht nach dem Leben im Turm. Sie wünschte, Varzil wäre bei ihr, oder Ellimara, oder auch Rorie, damit sie jemanden hätte, mit dem sie reden und durch den sie sich Klarheit verschaffen konnte. Harald würde sie nicht verstehen, und die Hoffnung auf ein sinnvolles Gespräch mit Rohanne war völlig vergebens. Außerdem hatte Harald alle Hände voll damit zu tun, sein großes Anwesen zu verwalten. Dyannis beschloss, dass es das Beste sei, mit sich selbst zu Rate zu gehen.
Sie hatte gerade genug Pollen für eine einzige Flasche Kirian , aber das wäre mehr als genug, um Lerrys über das Schlimmste hinwegzuhelfen. Vielleicht würde der Knabe mühelos durchkommen oder nur wenig Hilfe benötigen. Einige Heranwachsende lernten, die leichteren Symptome der Schwellenkrankheit mit einfachen Meditationstechniken in den Griff zu bekommen. Dyannis hatte schon mit Lerrys zu arbeiten begonnen und ihm, sofern er es erlaubte, grundlegende Konzentrationsübungen beigebracht. Es war nicht einfach, ihn bei der Stange zu halten; schon oft hatte sie eine Sitzung abbrechen müssen, kaum dass sie begonnen hatten, weil Harald nach dem Knaben geschickt hatte, damit er sich einer anderen Aufgabe widmete. Lerrys war alt genug, um die Führung des Anwesens zu lernen, das eines Tages ihm gehören würde.
»Ich weiß, dass es für dich hier im Haus wenig zu tun gibt«, sagte Harald mit unerwarteter Einsicht zu Dyannis. »Wenn du dich nützlich machen willst - die Gattin eines meiner Pächter, des Bauern Braulio, steht kurz vor der Niederkunft. Vielleicht kannst du ihr helfen, da wir gerade keine Hebammen haben.«
Nach einigem Zögern willigte Dyannis ein. Wenn sie nicht aufpasste, würde Harald die Zukunft für sie verplanen, sie vielleicht sogar vermählen, bevor sie zu alt wurde.
Nachdem sie, wie es sich gehörte, dem Gatten vorgestellt worden war, ritt sie auf ihrem Lieblingswallach, dem Rotschimmel, zu der Schwangeren. Annalise stellte sich als lebenslustige, fröhliche Frau heraus, deren Bauch sich schon vom zweiten Kind rundete. Ihr Haus, ein großes Wohngebäude mit drei Zimmern, war von Gemüsebeeten
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