Darkover 06 - Die Flamme von Hali
die auf halber Höhe der Treppe stand, kreischte auf.
Dyannis durchquerte die Halle, als Rohanne gerade für einen zweiten Schrei Luft holte. Sie nahm jeweils zwei Stufen gleichzeitig, rutschte aus und fing sich wieder.
Die Gedanken des Jungen verstummten.
Sie eilte durch den Korridor, hörte hinter sich noch einen Schrei. Sie riss die Tür zum Sonnenraum auf. Sofort entdeckte sie den umgekippten Stuhl und daneben den auf dem Teppich eingerollten Körper. Der Stuhl vibrierte noch. Die Luft stank nach wild wogendem, chaotischem Laran . Dyannis warf sich neben Lerrys auf die Knie. Sie wusste, noch ehe sie ihn an der Schulter berührte, dass er aufgehört hatte zu atmen.
Lerrys! Ihre jahrelange Ausbildung in Hali machte sich bezahlt, als sie mithilfe ihrer Gedanken den psychischen Aufruhr durchdrang. Sie nahm seine Hände, um den Kontakt zu verstärken, und sank unter die Ebene des bewussten Denkens.
Als Novizin und später als Leronis hatte Dyannis schon viele andere überwacht, Kollegen und einfache Leute. Aber noch nie hatte sie so rasch vorgehen müssen. Lerrys hatte ein oder zwei Minuten vor ihrem Eintreffen zu atmen aufgehört. Sein Herz stockte bereits, und seine Energiekanäle waren so verstopft, dass sie beinahe schwarz aussahen.
Mit einer geübten Geste öffnete sie das Medaillon, das ihren Sternenstein enthielt. Er flammte unter ihrer Berührung auf. Wie so viele Male zuvor benutzte sie den Stein, um ihr natürliches Laran zu verstärken und ihm eine Richtung zu geben.
Atme! Lerrys, atme!
Sie spürte die verstopften Knoten direkt unter seinem Zwerchfell, wie der Laran -Stau auf sein Sonnengeflecht drückte und mit dunkler Energie pulsierte. Es würde Zeit erfordern, die Blockade abzubauen, aber Lerrys blieb keine Zeit mehr. Jeder Augenblick, der verstrich, raubte ihm weitere Lebenskraft. Durch ihre Arbeit mit schwer verletzten Patienten in Hali und später in Cedestri hatte Dyannis gelernt, Lebensprozesse vorübergehend aufrechtzuerhalten. Auf ihren Befehl hin spannten sich Muskeln und hoben sich Rippen. Luft rauschte durch Atemgänge. Die Dunkelheit wich. Sie spürte, wie wieder ein Lebensfunke aufglomm.
Dyannis ließ Kraft in das Herz des Jungen strömen, stimulierte die sich verkrampfenden Nervenfasern. Das Herz reagierte, schlug einmal, zweimal, jedes Mal stärker.
»Was tust du da?«, kreischte eine Frauenstimme, kaum als Rohannes erkennbar. »Lass ihn in Ruhe.«
Dyannis wandte den Kopf und blickte in das aschgraue Gesicht ihrer Schwägerin. Hinter ihr bewegten sich Diener, und die Zofe, die Dyannis umgestoßen hatte, rang die Hände.
»Ich brauche Kirian !«, rief Dyannis. »Die blaue Flasche… neben dem Rosmarin. SOFORT! «
Eine jähe Veränderung im Energiefluss des Jungen lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Verschwommen hörte sie, wie sich Schritte entfernten, das Geplapper weiblicher Stimmen. Lerrys atmete, und sein Herz schlug noch, aber tief in seinem Energiekörper bahnte sich ein erneuter Umbruch an. In wenigen Augenblicken würde er sich als Zuckung körperlich Ausdruck verleihen. Seine Muskeln würden sich verkrampfen, sein Herz würde stehen bleiben, und seine Gehirnzellen könnten durch die Überlastung durchbrennen. Was sollte sie tun? Sie konnte sich an niemanden wenden, außer ihr konnte niemand handeln.
Dyannis sah lediglich eine Lösung, die so verzweifelt war, dass sie nie darauf verfallen wäre, hätte nicht das Leben des Jungen auf dem Spiel gestanden. Sie musste seinen Sternenstein in ihre Hände nehmen. Es war ein großes Wagnis; schon in ihrer Zeit als Novizin hatte man sie vor den furchtbaren Folgen gewarnt, die auch nur ein flüchtiger Kontakt mit dem Sternenstein einer anderen Person haben konnte. Es konnte ebenjene Situation herbeiführen, die sie gerade zu verhindern hoffte. Aber wenn sie durch die körperliche Berührung irgendwo auch seinen Geist erreichte, hatte sie vielleicht eine Chance, ihn zu retten.
Lerrys hatte sich zu einem Ball zusammengerollt, seine Muskeln zuckten. Dyannis ließ ihr Sternenstein-Medaillon lose an seiner Kette baumeln. Sie benötigte beide Hände, um dem Jungen das Hemd aus dem Hosenbund zu ziehen. Sie dankte allen Göttern, dass er noch den Stoffstreifen als Schärpe unter seiner Kleidung trug. Ein Klumpen war zwischen den Falten zu spüren. Ihre Finger zitterten, als sie an den Falten zupfte.
Der Matrix-Kristall, von innen heraus strahlend, fiel auf ihre
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