Darkover 06 - Die Flamme von Hali
seine Heilung fort. Wellen von Energie bewegten sich langsam, aber stetig durch die überlappenden Systeme von Nervengewebe und Energonkanälen.
Eduin benutzte eine geistige Sonde, einen schlichten telepathischen Gedanken. Er hätte für Saravios erwachenden Geist so klar sein sollen wie ein gesprochenes Wort, aber es gab keine Reaktion, nicht einmal eine Spur von Wahrnehmung. Eduin hatte das auch nicht erwartet.
Er schüttelte Saravios Schulter sanft. Der Mann schlug die Augen auf.
»Du bist es. Ich habe geträumt… Naotalba… «
»Ja, du bist jetzt in Ordnung. Und du musst etwas essen.« Sanft half Eduin ihm, sich hinzusetzen.
Wie ein gehorsames Kind nahm Saravio Stückchen von Brot entgegen und trank das Wasser in kleinen Schlucken. Er kaute die ersten Bissen zögernd, als hätte er vergessen, wie man das machte. Als Eduin eine telepathische Botschaft schickte, bemerkte er bei Saravio keine Anzeichen, sei es geistig oder körperlich, dass er sie wahrgenommen hatte.
Das kleine Experiment bestätigte Eduins Befürchtungen. Den ganzen Tag, während er im Mietstall am Stadtrand Boxen ausgemistet hatte, hatte er über die Ereignisse dieses Morgens nachgedacht.
Worin Saravios Begabung auch bestanden hatte, als er sich noch in Cedestri befand und bevor Naotalba ihm »erschienen« war, er war jetzt gegenüber telepathischem Kontakt so blind wie jeder gewöhnliche Mensch. Verbunden mit seinem Wahn und dem unberechenbaren Temperament würde ihn das unfähig machen, in einem Matrix-Kreis zu arbeiten.
Eduin nahm an, was immer die Anfälle bewirkte, hatte auch den Teil von Saravios Hirn zerstört, der für den Empfang von Telepathie verantwortlich war. Saravio schien keine Ahnung von seiner außergewöhnlichen Empathieübertragung zu haben, von dieser Fähigkeit, kurzfristig Eduins Zwangsbann zu lockern.
Wir sind von der gleichen Art , dachte Eduin mit einer Spur ungewohnten Mitgefühls. Beide ohne unser Zutun verkrüppelt. Vielleicht können wir gemeinsam wie ein zusammengeflickter Mann funktionieren und durch die Welt hinken . Nein, erkannte er, er würde sich nicht mehr mit einer Halbexistenz im Schatten zufrieden geben müssen. Nun versprach das Leben wieder so viel mehr.
Emotionen, heiß und strahlend, drohten Eduin die Kehle zuzuschnüren. Zum ersten Mal seit Jahren des Versteckens hatte er einen Freund, einen Verbündeten. Er würde Augenblicke der Freiheit erfahren und in dieser Zeit Gelegenheit haben zu denken, zu planen, über die Gosse hinauszugreifen. Vielleicht konnte er auch Saravio helfen, Frieden und einen Nutzen für seine ungewöhnliche Begabung zu finden. Das wäre ein gerechter Austausch.
4
Selbst nachdem der Schnee überall sonst geschmolzen war, lagen in den Gassen von Thendara noch Reste davon. Hier in den ärmsten Stadtvierteln klebte der Schatten, kalt und geheimnistuerisch, in den geborstenen Wänden. Dreck überzog Tümpel von Schneeregenwasser. Halb verhungerte Kinder suchten auf den Müllhaufen nach Resten von schimmligem Brot.
Eduin, nun eng mit Saravio befreundet, war mit ihm in ein größeres Zimmer gezogen. Saravio sang für ihn, wann immer Eduin den inneren Druck des Fluchs seines Vaters nicht mehr ertragen konnte, und dann hatte er ein paar Tage Zeit, bevor der Kreislauf gnadenlos und unausweichlich wieder begann. Saravio erlitt mitunter Anfälle, aber sie waren nie wieder so heftig wie der erste. Eduin wagte nicht, ihn allein zu lassen, denn er befürchtete, dass Saravio wieder aufhören könnte zu atmen. Dadurch war er nur umso häufiger der Euphorie des Liedes ausgesetzt. Sein Bedürfnis nach Alkohol ließ nach, aber gleichzeitig sehnte er sich nach den Augenblicken der Freude, die ihm Saravios Laran -Manipulationen bescherten, und suchte nach Möglichkeiten, sie zu verlängern. Diese Verlockung verängstigte ihn, denn sie war in ihrer Macht und Reinheit viel verführerischer als Alkohol.
Nachdem er die betäubenden Auswirkungen des Alkohols abgeschüttelt hatte, erlebte Eduin auch eine Erneuerung aller anderen Emotionen. Wann immer Saravio seine Anfälle erlitt, spürte Eduin eine Mischung aus Mitgefühl, Ekel und Schuld. Schuld, dass er selbst diese Krankheit bei einem Freund auslöste, der nur versuchte, ihm zu helfen. Er fragte nie, wieso Saravio bereit war, einen solchen Preis zu zahlen. Tatsächlich kam er Eduins Bitte um das Lied stets vergnügt nach und schien hinterher nicht zu wissen, was geschehen war. Dann schämte
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