Darkover 06 - Die Flamme von Hali
Reichweite… Und dann wird sich Naotalbas Armee auf ihn stürzen. Keine Macht auf Darkover kann ihn gegen Menschen schützen, die bereit sind, für ihre Sache zu sterben .
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Dyannis Ridenow lockerte das Tuch, das ihr kupferrotes Haar bedeckte, und schaute über den See von Hali hinaus. Ein Frühlingswind, kühl und feucht, zupfte an ihrem Umhang. Sie atmete tief ein und genoss ihr unwillkürliches Schaudern.
Aldones, es tat gut, wieder draußen zu sein! Der Winter war ihr unendlich lang vorgekommen; jeder Zehntag der Gefangenschaft war langweiliger und unerträglicher gewesen als der vorhergehende. Sie streckte die Arme aus. Diese alten Weiber beider Geschlechter, die sich in alles und jedes einmischten, würde der Schlag treffen, wenn sie wüssten, dass Dyannis hier draußen war, ohne Anstandsdame und in einem Umhang und einem Überkleid, die sie von einem Küchenmädchen geliehen hatte.
Sollten sie doch glucken wie ein paar alte Hennen, es wäre nicht das erste oder letzte Mal. Sie konnte genauso gut auch den Rest des Tages draußen verbringen und ihnen noch mehr Grund zum Klatsch geben.
Ein Opfer, das sie nicht um der Verkleidung willen hatte bringen wollen, waren ihre eigenen Stiefel aus feinem, butterweichem Leder, die genau ihren kleinen Füßen angepasst waren. In diesen Stiefeln stand sie nun direkt am Rand des goldenen Sands. Dahinter wogte das Wolkenwasser des Sees, schwappte ans Ufer und zog sich wieder zurück. Statt der üblichen sanften Wellen hatte der See an diesem Tag eine unruhigere, zerrissene Oberfläche.
Der Himmel verbarg sich hinter Wolken. Einen Augenblick lang stürzte sich ihre Fantasie auf das Bild, und sie sah nicht nur sich selbst, sondern ganz Darkover, eingefangen und gepresst wie getrocknete Blüten.
Gepresst . Ja, das war ein gutes Bild. Ihre Nerven kribbelten von der elektrischen Spannung, die sich täglich weiter aufbaute. Dyannis konnte die ungeborenen Blitze beinahe sehen, spürte ihre metallische Spur.
Die Unwetter waren seit dem Ende des Winters schlimmer geworden, sowohl was Häufigkeit als auch was Intensität anging. Die Feuerwehren in Hali und im nahen Thendara waren vollkommen erschöpft, denn die Unwetter brachten niemals Regen, ebenso wenig wie der Blitz die elektrische Spannung entlud. Stattdessen schien sich ein Unwetter von dem vorangegangenen zu nähren.
Etwas musste geschehen. Selbst unter den mächtigsten Schilden mussten sich die Kreise in den betroffenen Türmen angestrengt um Konzentration bemühen, die für gewöhnlich mühelos kam. Manchmal war die Hälfte der Arbeiter wegen Überladung ihrer Energonkanäle arbeitsunfähig.
In Hali-Stadt ging es noch friedlich zu, aber jeden Tag trafen Berichte über wachsende Unruhe in Thendara ein. Was als Aufbrausen eines Einzelnen oder Streit unter Betrunkenen begann, konnte sich rasch zu einem Aufstand auf den Straßen auswachsen. Manchmal waren die Stadtwachen nicht imstande, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, und mussten warten, bis der Ausbruch sich erschöpfte. Dyannis, die längere Zeit nicht als Überwacherin gearbeitet hatte, wurde häufig zusammen mit den anderen erfahrenen Leronyn gerufen, um sich um die Verwundeten zu kümmern.
Dyannis war seit dem Tag, an dem sie als staunende Novizin in Hali eingetroffen war, viele Male zum See gegangen, weil frische Luft und die rhythmische Bewegung der Wellen sie stets beruhigten. Nun musste sie feststellen, dass sie hier draußen noch gereizter wurde als im Turm. Diese Spannung schien sowohl Land als auch Luft zu durchdringen und auf ihrer Haut zu kribbeln. Sie hätte am liebsten irgendetwas zerschlagen, ihre aufgestaute Frustration losgelassen. Noch während sie die Fäuste ballte, wusste sie, wie irrational das war. Als ausgebildete Leronis erkannte sie ihre immer aufbrausendere Stimmung als Reaktion auf die atmosphärischen Störungen, aber als Mensch war sie immer noch Opfer der nervenzerrüttenden Auswirkungen dieser Situation.
Ungeduldig trat sie in den Boden, und Sand spritzte in die Wolkenwellen. Ihre Stiefelspitze stieß gegen einen Stein im Sand, und Dyannis stolperte. Fluchend wischte sie den feuchten Sand vom Leder, dann beugte sie sich vor, um sich die Hände zu waschen.
Sobald ihre nackte Haut den Nebel berührte, spürte sie psychische Energie. Sie keuchte, trat auf den Rock, der viel zu groß für sie war, und setzte sich unfreiwillig in den Sand. Sie holte tief Luft, versuchte sich
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