Darkover 09 - An den Feuern von Hastur
den Kortikator trug, wurde sie auch nicht von Träumen gequält.
Sie ging Elizabeth aus dem Weg. Ihre Freundin strahlte vor Glück über ihre Schwangerschaft, ihr neues Haus und ihre Arbeit, und Ysaye ertrug es nicht, das Skelett beim Festmahl zu sein. Sie verlor an Gewicht. Aurora schimpfte mit ihr und verordnete ihr schließlich eine spezielle Diät. Ihre Bordkameraden starrten neidisch auf ihre Essentabletts, die mit frischem Obst, den besten Fleischstücken und kalorienreichen, üppigen Desserts beladen waren.
Niemand spielte je auf den Schwangerschaftsabbruch an. Man drückte nur Mitgefühl wegen ihrer Totaloperation aus, meinte dann aber leichthin: »Aber du bist ja nie ein Typ gewesen, der heiraten und Kinder haben wollte.« Eine oder zwei der Frauen sagten sogar, sie beneideten sie darum, daß sie nicht länger der Tyrannei der Hormone unterworfen sei.
Als diese Bemerkung das erste Mal fiel, war Ysaye sprachlos über einen so herzlosen Mangel an Takt. Aber dann sagte jemand anders etwas Ähnliches, das bestenfalls gedankenlos und schlimmstenfalls grausam gewesen wäre, wenn die Sprecherin von dem verlorenen Kind gewußt hätte. Anfangs dachte Ysaye, sie mieden alle das Thema ihrer Schwangerschaft und täten so, als habe es sie nie gegeben. Doch allmählich erkannte sie, daß die Leute einfach nicht wußten, was ihr widerfahren war. Soweit es die anderen Terraner betraf, hatte sie einen lebensbedrohenden Allergie-Anfall gehabt, und irgendwie hatte er Probleme hervorgerufen, die eine Totaloperation erforderten. Falls jemand wußte, wie unwahrscheinlich das war, sprach er nicht davon. Und die wenigen Leute, die über das Kind Bescheid wußten, waren entweder eingeborene Darkovaner oder Freundinnen, die schweigen würden, bis sie selbst davon anfing - oder der medizinische Stab, für den die Sache nur noch ein datengeschützter Bericht war.
Als Ysaye sich das alles zurechtgelegt hatte, war sie ebenso erleichtert wie ärgerlich. Auf gewisse Weise fühlte sie sich betrogen. Man müßte ihr zugestehen, zu trauern und ihrer Umgebung zu erklären, warum sie trauerte. Jetzt würde man ihr Verhalten für nichts weiter als eine törichte weibliche Reaktion auf den Verlust eines Organs halten, ohne das sie sehr gut auskommen konnte.
Eine Operation, auch eine große, zog nicht mehr eine lange Zeit der Erholung wie in früheren Zeiten nach sich. Innerhalb einer Woche war Ysaye wieder auf den Beinen und voll arbeitsfähig, und Schmerzen hatte sie kaum noch. Innerhalb von zwei Wochen erinnerte sie nur noch eine schmale rote Narbe daran, daß überhaupt etwas passiert war.
Auch deswegen fühlte sie sich betrogen. Ihr war etwas genommen worden, etwas Lebenswichtiges, und es hatte so gut wie keine Spur hinterlassen. Es hätte Schmerz dasein sollen, als eine Art Buße. Doch immerhin hatte sie ihre Aufgaben, und dabei mußte sie oft umherlaufen, und es war ihre Pflicht, so schnell wie möglich gesund zu werden. Ebenso wie es die Pflicht des medizinischen Stabes war, dafür zu sorgen, daß sie schnell gesund wurde.
Leonie setzte sich nur einmal mit ihr in Verbindung, um ihr zu sagen, sie sei müde und sie hoffe, Ysaye gehe es gut. Sie sagte, sie sei mit irgend etwas sehr beschäftigt - zuerst hatte Ysaye gedacht, Leonie halte sich von ihr fern, weil sie immer noch böse über den Verlust des Kindes sei. Dann dachte sie, der Vorfall mit dem Computer habe das Mädchen zu sehr verängstigt. Aber als Leonie schließlich eines Nachts erschien und ihr mitteilte, sie sei bereit, sich von neuem mit ihr zu unterhalten, zeigte sie keine Spur von Furcht - und wenn es eine Veränderung gab, dann die, daß das Band zwischen Ysaye und dem Mädchen stärker war als je zuvor.
Wo hast du dich die ganze Zeit versteckt? fragte Ysaye und fügte hinzu: Abgesehen davon, daß du hinter diesem ›Schleier von Arilinn‹ gewesen bist.
Oh, Ysaye, du weißt gar nicht, wie recht du hast , erwiderte das Mädchen so müde, wie Ysaye es noch nie gehört hatte. Ich hatte besonderen Unterricht, den nur eine Bewahrerin erhält. Jetzt, nachdem ich es gelernt habe… Kein Mann wird jemals fähig sein, mir meine Jungfräulichkeit mit Gewalt zu nehmen.
Das ist ein Trick, den viele Frauen gut brauchen könnten , bemerkte Ysaye.
Leonie seufzte. So leicht ist es nicht. Und ich bezweifele, ob viele Frauen dies noch wollen, wenn sie wüßten, was die Ausbildung erfordert. Aber Bewahrerinnen müssen sich selbst schützen
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