Darkover 10 - Die zerbrochene Kette
reiten, nur noch ein paar hundert Schritte? Siehst du?« Sie zeigte in die zunehmende Dunkelheit hinein. »Die ersten steigen schon ab; siehst du sie? Horch! Ich höre Jaelle lachen.«
Melora sagte leise: »Sie ist wie ein Tierchen, das man aus dem Käfig gelassen hat. Ich bin froh, daß sie so gut zu ihr sind. Armes Häschen, ich hatte auf dieser Reise so wenig Kraft für sie übrig…«
»Ich bin sicher, sie versteht es«, beruhigte Rohana sie.
»Ich hoffe, sie versteht es nicht.« Meloras Gesicht zuckte. Sie waren der Stelle nahe, wo die anderen abstiegen; wieder hörte Rohana das helle, fröhliche Lachen Jaelles. Sie war in diesen Tagen zum Liebling der Amazonen geworden, lachte, plauderte, war voll von endlosen Fragen über die Welt und das Leben, das vor ihr lag. Die Frauen hatten darin gewetteifert, sie zu sich auf den Sattel zu nehmen, wenn sie müde wurde, hatten ihr von ihren spartanischen Mahlzeiten die besten Bissen aufgehoben, ihr Geschichten erzählt und Lieder vorgesungen, um die Eintönigkeit der Reise aufzulockern, und ihr sogar Spielzeuge aus allen möglichen Gegenständen hergestellt.
Rohana glitt von ihrem Pferd, überließ es der herbeieilenden Rima, es wegzuführen, und half Melora fürsorglich aus dem Sattel. Meloras Knie knickten ein, und Rohana mußte sie auffangen und das ganze Gewicht ihrer Cousine stützen. Ängstlich rief sie nach Kindra. Die Anführerin der Amazonen tauchte aus dem Schatten auf und überblickte die Situation sofort. »Also ist Eure Zeit gekommen, domna! Ja, nur zwei Dinge auf dieser Welt sind sicher, Geburt und der Schnee des nächsten Winters, und beide kommen, wann sie wollen, und nicht, wann es uns paßt. Der Göttin sei Dank, daß wir Wasser in der Nähe haben. Ein Jammer, daß wir das Zelt im Stich lassen mußten; kein Kind sollte mit dem Himmel als einzigem Dach über sich geboren werden.«
»Besser unter freiem Himmel als in Jalaks Großem Haus«, stieß Melora hervor, und Kindra drückte ihr kurz die Hand. »Könnt Ihr ein bißchen gehen, Lady? Wir werden einen Platz herrichten, wo Ihr Euch hinlegen könnt.«
»Ich kann, was ich muß«, erklärte Melora, aber sie stützte sich schwer auf ihre Verwandte, und Rohana hatte furchtbare Angst. Hier, in finsterer Nacht, mitten in der Wüste, ohne fachkundige Hilfe… Rima mag Hebamme gewesen sein, aber die Freien Amazonen entsagen der Weiblichkeit…
»Ich hatte gehofft, durchzuhalten, bis wir Carthon erreichen«, flüsterte Melora, und Rohana gestand sich ein, daß sie Meloras böse Vorahnungen teilte. Es mußte ihr gelingen, stark und zuversichtlich zu erscheinen.
»Sieh, sie machen Feuer«, sagte sie. »Wir werden Licht haben und warmes Essen, und es ist Wasser in der Nähe.« Damit führte sie Melora in Richtung der aufzüngelnden Flammen. »Und wir haben Glück, eine dieser Frauen ist früher Hebamme gewesen!«
Dann fiel der Schein des Feuers auf Melora, und Rohana entsetzte sich: Handgelenke und Knöchel waren geschwollen, die Augen rot und fiebrig. Sie hätte es uns schon vor Stunden sagen sollen, dann hätten wir angehalten… aber dann wäre das Kind geboren worden, wo es kein Wasser gab…
Dankbar sank Melora auf die Decken nieder, die die Amazonen für sie ausgebreitet hatten. Für einen Augenblick vergrub sie das Gesicht in den Händen; Rohana hörte sie laut und schwer wie ein Tier atmen. Dann hob sie den Kopf und klagte: »Ich habe Durst, Rohana - willst du mir etwas zu trinken bringen?«
»Natürlich.« Rohana wollte aufstehen, doch Melora hielt sie fest. »Nein, nein, bleib bei mir. Habe ich dir erzählt, warum ich plötzlich entschlossen war, zu fliehen und Jaelle wegzubringen oder sie mit eigenen Händen zu töten, bevor dies Kind geboren würde?«
»Nein, Liebes, das hast du mir nicht erzählt…«
»Als ich sie sah - wie sie mit Jalaks anderen Töchtern spielte - sie hatten sich alle, auch Jaelle, Bänder um die Handgelenke gebunden und spielten, erwachsen und angekettet zu sein…«
Rohana erschauerte bis ins Mark. Schnell fiel sie ein: »Liebes, laß mich gehen. Ich hole dir etwas zu trinken. Meinst du, du könntest auch ein bißchen essen?« Sie ließ Melora auf dem Deckenstapel liegen, ging an das Wasserloch, kniete nieder und spülte zitternd den Becher aus. Sie war froh, ihr Gesicht im Dunkeln verstecken zu können.
Nach einer Weile gewann sie die Beherrschung zurück und erhob sich. Kindra rief vom Feuer her: »Sagt
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