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Darkover 17 - Die blutige Sonne

Titel: Darkover 17 - Die blutige Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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aber nicht mehr jung. Er wußte, er sah seine Mutter. Warum war er bis zu diesem Augenblick nicht fähig gewesen, sich an ihr Gesicht zu erinnern? Sie trug ein merkwürdig geschnittenes, karminrotes Gewand, die Robe, die Elorie für immer beiseite geworfen hatte, die Zeremonienrobe einer Bewahrerin von Arilinn. Während er die Frau betrachtete, fiel das Gewand in Fetzen und verschwand, und nun stand sie vor ihm in den Kleidern, die sie alltags trug, einem karierten Rock und der weißen, mit Schmetterlingen bestickten Bluse. Er erinnerte sich sogar noch an die Beschaffenheit des Stoffes.
   Warum sah Elorie sie nicht? »Mutter«, flüsterte er, »ich dachte, du seist tot.« Und er erkannte seine Stimme als die eines Kindes. Und dann wurde ihm klar, daß sie nicht da war, daß er nur ihr Abbild sah, das Abbild einer viele, viele Jahre toten Frau, und die Tränen würgten ihn in der Kehle, Tränen, die er damals nicht hatte vergießen können.
   Meine Mutter. Und sie starb einen entsetzlichen Tod, ermordet von Fanatikern…
   Und doch hörte er ihre Stimme, sorgenvoll, verzweifelt, außer sich vor Schmerz.
   Wie kann ich meinem Kind das antun? Mein Sohn, mein Kleiner, er ist zu jung, solch eine Bürde zu tragen, zu jung für die Matrix, und doch… Zweimal bin ich knapp dem Tod entronnen, und früher oder später werden sie mich finden und umbringen, diese Fanatiker, die die Jungfräulichkeit einer Bewahrerin für wichtiger halten als ihre Fähigkeiten! Und dabei habe ich ihnen gezeigt, was ich tun kann…
   Und eine zweite Stimme, die tiefe, sanfte Stimme eines Mannes, klang in seinen Gedanken auf: Hast du von Arilinn irgend etwas anderes erwartet, meine Cleindori? Und durch die Erinnerung und die Wahrnehmung seiner Mutter sah Kerwin - als Kind und als Mann in einer seltsamen doppelten Vision - das Gesicht des Sprechers. Er war ein alter Mann, vom Alter gebeugt, mit einem abgeklärten, gelehrtenhaften Gesicht und silbergrauem Haar. Seine Augen blickten gütig aber verbittert. Sie warfen Callista fort, obwohl ich ihnen dasselbe bewies, was du ihnen zu beweisen versuchtest.
   Vater, sind alle Leute von Arilinn solche Toren? Das war ein verzweifelter Aufschrei. Sieh, hier ist mein Sohn, nach dir genannt, Damon Aillard, und sie werden sich nicht damit zufrieden geben, mich und Lewis und Cassilde zu töten. Sie werden auch Jeff und Andres und Kennard und alle übrigen von uns umbringen, bis hinunter zu Cassildes kleinen Jungen und der Tochter, die sie Jeff diesen Sommer gebären wird! Vater, Vater, was kann ich tun? Habe ich den Tod über sie alle gebracht? Ich habe nie etwas Böses im Sinn gehabt, ich wollte ihnen neue Gesetze geben, ich wollte die alten grausamen Gesetze von Arilinn abschaffen, damit die Frauen dort glücklich leben können, damit sich Männer und Frauen in Arilinn nicht länger einem lebenden Tod überantworten müssen. Und sie wollten nicht auf mich hören, obwohl die Bewahrerin von Arilinn sprach! Das Gesetz von Arilinn ist, daß das Wort der Bewahrerin Gesetz ist. Doch als ich ihnen diese neuen Freiheiten schenken wollte, hörten sie nicht auf mich. Sie verfolgten mich und Lewis, bis wir flohen… Vater, Vater, wie konnte ich mich so irren? Und jetzt haben sie den Vater meines Sohns getötet, und ich weiß, sie werden nicht aufhören, bis ihnen das letzte Kind des Verbotenen Turms zum Opfer gefallen ist! Gibt es denn keinen Weg, daß ich sie retten kann?
   Für einen flüchtigen Augenblick teilte Kerwin die Gedanken Damon Ridenows. Sie alle, jeder einzelne, der innerhalb der Wände des Verbotenen Turms, wie sie ihn herausfordernd immer noch nannten, gearbeitet hatte, stand unter einem Todesurteil. Früher oder später würde das Schicksal jeden ereilen.
   Kerwin spürte die Verzweiflung, mit der Damon sprach.
   Es gibt keinen Weg, mit Fanatikern vernünftig zu reden, Cleindori. Vernunft und Recht sagen dir, daß eine Bewahrerin nur ihrem eigenen Gewissen verantwortlich ist. Aber jene sind immun gegen Vernunft und Recht. Für sie bist du keine Matrix-Arbeiterin. Sie wollen dich nicht in deiner Eigenschaft als Matrix-Arbeiterin zur Bewahrerin haben. Was sie in Arilinn wollen, ist eine sakrosankte Jungfrau, ein Opfer ihrer eigenen Schuldgefühle und Ängste. Das Wort der Vernunft hat kein Gewicht gegenüber Fanatikern und blindem Aberglauben, Cleindori.
   Vater, du hast mich im Glauben an die Vernunft erzogen!
   Ich habe unrecht daran getan. Oh, mein Liebling, ich habe

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