Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
wenn ich mich unwohl fühle.
»Mein Geburtstag ist bald«, sagt Dorothy nach einer Weile.
»Das wissen wir doch«, entgegnet Amanda.
»Dann muss ich mir ja keine Sorgen machen.« Dorothy sieht mich an.
»Nein, musst du nicht«, sage ich und schaue auf meine Hände.
Mein Name ist Kate Harding und mir bleiben noch zwei Wochen. Dreizehn Tage, wenn man den Geburtstag nicht mitrechnet.
»Kate redet die ganze Zeit von nichts anderem mehr«, sagt Amanda. »Sie hat wirklich hinreißende Ideen!«
Das ist gelogen. Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was wir Dorothy schenken sollen. Früher haben wir uns gemeinsam um die Geschenke gekümmert. Aber das hat nicht so gut funktioniert, es gab immer wieder Missverständnisse, immer wieder Unstimmigkeiten. Seitdem losen wir. Dieses Jahr bin ich für Dorothys Geschenk verantwortlich.
»Glaub mir, du wirst begeistert sein«, sagt Amanda.
»Na ja, warten wir es mal ab.« Sophia wischt sich den Mund mit einer Serviette ab. »Hauptsache, sie nimmt nicht wieder einen Neger.«
Amanda zuckt zusammen. »Sophia!«
»Was denn?«
»Das sagt man nicht!«
»Was? Neger? Seit wann sagt man nicht mehr Neger?«
»Seit … schon lange nicht mehr. Das ist diskriminierend!«
»Man sagt jetzt Afroamerikaner«, erklärt Dorothy. »Oder Schwarzer.«
»Ist mir egal, wie ihr das nennt«, sagt Sophia. »Hauptsache, Kate schleppt nicht wieder einen an. Die stinken immer so, wenn man sie aufschneidet.«
Gegen zehn Uhr legt sich der morgendliche Ansturm, die Schlange am Rezept-Schalter verschwindet genauso schnell, wie sie entstanden ist. Bis um zwölf, halb eins, wenn die Büros im Hudson Tower Mittagspause machen, ist dann meist nicht viel los. Ich fülle noch ein Fläschchen Antibiotikum ab, dann lasse ich Lucy allein und mache meinen täglichen Rundgang.
Seit Anfang der Woche hat es nicht aufgehört zu regnen. Die Fliesen im Eingangsbereich sind völlig verdreckt. Die Fährten aus matschigen Schuhabdrücken reichen bis nach hinten zu den Reinigungsmitteln in Gang sechs. Die Menschen nehmen einfach keine Rücksicht. Zum Wochenende hin soll es schneien, dann wird es bestimmt noch schlimmer.
Auf dem Rückweg, in Gang drei, fällt mir auf, dass die Nasensprays aufgefüllt werden müssen. Die Erkältungsbäder genauso. Das ist Robs Aufgabe.
»Rob!«, rufe ich und gehe zurück zum Mittelgang. »Rob!«
Plötzlich steht er hinter mir. »Was gibt’s denn?«, fragt er und grinst frech. Rob grinst immer frech.
»Die Nasensprays und die Erkältungsbäder müssen aufgefüllt werden.«
»Das hab ich heute Morgen schon gemacht«, sagt er.
»Sie sind aber trotzdem fast alle«, sage ich.
»Erkältungszeit«, sagt er und hebt die Schultern.
»Ja, ganz genau«, sage ich. »Und deshalb ist es wichtig, dass unsere Kunden nicht vor leeren Regalen stehen. Kümmerst du dich also bitte darum?«
Er schüttelt den Kopf. »Ist gerade schlecht, Misses Harding. Ich muss noch die Kühlregale auffüllen.«
»Das macht man eigentlich zu Schichtbeginn.« Ich bemühe mich um einen neutralen Ton, es gelingt mir nur teilweise.
Wieder hebt Rob die Schultern und grinst. »War viel los.«
»Rob, ich … ich habe dich um etwas gebeten, ja? Und ich möchte, dass du … dass du das jetzt auch tust.« Meine Wut ist ein roter Ballon.
»Ja, ja, schon klar, Misses Harding. Aber wie gesagt: Ich habe gerade selber zu tun.« Mit jedem Wort wird der Ballon praller. »Fragen Sie doch Lucy, die steht sowieso den ganzen Tag nur rum.« Das Gummi dehnt sich, das Rot wird heller, geht über in ein Orange. Immer praller. »Oder Sie machen es einfach selber.« Gleich platzt er. »Ich meine, ist ja nicht so, als wären Sie hier die Chefin.« Gleich muss er platzen. »Auch wenn Sie sich gerne so aufführen.« Aber nichts passiert. Ich nicke, und Rob dreht sich um und geht zu den Kühlregalen.
Ich atme tief durch. Ganz langsam entweicht die Luft aus meinem roten Ballon. Jedes Mal bleibt etwas zurück. Jedes Mal etwas mehr.
Zwischen dem Hudson Tower und der Brackett Street ist ein kleiner Vorplatz. Dort sitzen zwei Obdachlose. Sie sitzen dort schon seit heute Vormittag. Ich beobachte sie, während ich die Beta-Blocker in den Arzneischrank einsortiere. In regelmäßigen Abständen schaut einer von beiden zu mir herüber. Man sieht sie überall, die Obdachlosen: An Straßenecken und vor Supermärkten, in den U-Bahnen und Unterführungen. Und in den Parks. Wenn man denn darauf achtet. Die meisten Menschen nehmen sie gar nicht mehr
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