Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
immer noch hier zu sitzen, mit diesem unsicheren weißen Jungen mit den dicken Brillengläsern, der wahrscheinlich keine Woche mehr zu leben hat. Zumindest nicht das Leben, wie er es kannte. Eine weiße Wühlmaus, die fiepend über Wiesen rennt, auf der sie absolut nichts zu suchen hat. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Adler sie entdeckt.
»Ich fürchte, er wird ihnen nicht weiterhelfen können«, sage ich und trinke.
»Bitte …« Er streckt seine Hände aus, als wolle er nach meinen greifen. »Bitte, fragen Sie ihn trotzdem! Es ist wirklich wichtig. Fragen Sie ihn. Mehr verlange ich gar nicht.«
Er hat diese Mischung aus Mut und Verzweifelung, die schon ganz anderen Männern das Genick gebrochen hat. Er wird sich nicht einfach so abwimmeln lassen. Nicht von mir.
Also sage ich: »Ich werde es ihm ausrichten. Kommen Sie morgen wieder.«
Der Junge bedankt sich und steht auf. Ich sehe ihm nach, bis er das ›Corey’s‹ verlassen hat. Ich hoffe, ich bin nicht in der Nähe, wenn der Adler zum Sturzflug ansetzt.
Das Spiel ist überall dasselbe. Wenn man die Regeln kennt und sich daran hält, hat man gute Chancen, alt zu werden. Und in Freiheit zu sterben. Ich denke, das ist es, worauf es ankommt. Ich war insgesamt acht Jahre im Gefängnis, aber das ist eine andere Geschichte. Ich bin viel rumgekommen, aber es macht keinen Unterschied, wohin man geht. Das Spiel ist überall dasselbe. Ostküste, Westküste, egal. Ich war mal sogar eine Zeit lang in Kanada, zwei Jahre in Toronto, ein halbes in Montreal. Es macht keinen Unterschied. Überall muss man sich an die Regeln halten. Eine der Regeln lautet: Wenn du bei einer Sache ein schlechtes Gefühl hast, wenn sie dir Bauchschmerzen bereitet – dann lass die Finger davon. Ganz gleich, was kommt, lass die Finger davon.
Der weiße Junge mit der Nickelbrille sitzt mir gegenüber, und ich fühle mich, als wäre mein Blinddarm durchgebrochen. Also sage ich: »Es tut mir leid, er kann nichts für Sie tun«, und hoffe, dass der Junge schnell verschwindet. Doch er rührt sich nicht.
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«, fragt er.
Ich nicke.
»Was hat er genau gesagt?«
»Dass er nichts für Sie tun kann«, sage ich noch einmal.
»Aber er weiß doch gar nicht genau, worum es geht!« Der Junge lehnt sich nach vorn. »Es ist ja nicht nur die Pistole, es sind ja noch ganz andere Sachen. Ich verstehe das nicht! Wie kann er ablehnen, ohne zu wissen, worum es überhaupt geht?«
Er will, dass ich es ihm erkläre. Doch ich schweige und schaue ihn nur an, und der Junge lehnt sich wieder zurück.
»Okay«, sagt er. »Okay, vergessen wir die Pistole. Einverstanden? Sie ist nicht wichtig, es geht auch ohne.«
Er steckt die Hand in die Jackentasche, und noch bevor ich reagieren kann, holt er sie wieder hervor und legt einen gefalteten Zettel auf den Tisch.
»Auf dieser Liste stehen die Dinge, die ich benötige«, sagt er. »Keine Pistolen, nichts was Ihnen irgendwie Probleme bereiten könnte.«
Er schiebt die Liste über den Tisch. Ich schiebe sie wieder zurück. Er sieht mich fragend an.
Ich sage: »Tut mir leid.«
»Was soll das heißen?«
»Er kann Ihnen nicht helfen. Sie müssen diese Dinge woanders beschaffen.«
»Geht es um den Preis?«, fragt der Junge. »Ist es das? Sie wollen den Preis nach oben treiben, richtig?«
»Es geht um Sie«, sage ich ruhig.
Er starrt mich an, und für einen Moment bin ich mir sicher, dass er mich angreifen wird, meine Hand schließt sich um den Kaffeebecher, und ich überlege, ob sein Inhalt noch heiß genug ist. Doch dann schlägt der Junge auf den Tisch, Kaffee schwappt über den Rand, und der Moment zieht an uns vorbei. Der Junge nimmt den Zettel, steht auf und geht. Ich wische meine Hand an der Serviette ab. Mein Zeigefinger pocht, der Kaffee wäre heiß genug gewesen.
Gus schaut zu mir rüber. Er sieht irgendwie enttäuscht aus. Wahrscheinlich hat er gehofft, dass der Junge die Scheiße aus mir rausprügelt. Ich schenke ihm mein breitestes Lächeln. »Wie läuft’s, Gus? Alles gut?« Doch Gus grunzt nur und wendet sich ab.
Ich schütte Zucker in den Kaffee, rühre um. Mein Herz schlägt langsamer, mein Magen entkrampft sich, der Schmerz lässt nach. Doch er verschwindet nicht. Er zieht sich nur zurück, er lauert.
Als ich die Hintertür des ›Corey’s‹ abschließe und durch den schmalen Gang vorbei an den Mülltonnen zur Main Street gehe, hat sich im Osten bereits ein grauer Balken in den Himmel geschoben. Gus ist schon
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