Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
vor mir nach Hause gegangen. Ich habe noch die Bar abgewischt, die letzten Gläser gespült. Eigentlich ist das Gus’ Aufgabe, doch er vergisst es häufig. Meistens ist er zu betrunken.
Eine Autotür wird zugeworfen, irgendwo hinter mir. Schritte nähern sich. Sie holen auf. Meine Rechte wandert in die Manteltasche. Die Schritte werden lauter, dann sind sie direkt hinter mir, und ich drehe mich abrupt um. Der Junge kommt ins Stolpern, fängt sich aber gleich wieder. Er bleibt stehen.
»Ich will nur mit Ihnen reden«, sagt er und hebt die Hände. »Nur reden, okay?«
»Wer reden will, schleicht sich nicht von hinten an.«
»Ich … ich möchte Ihnen ein Angebot machen.« Seine Hand bewegt sich in Richtung Innentasche, doch dieses Mal bin ich schneller. Mit drei Schritten bin ich bei ihm und packe seinen Arm, zerre ihn heraus. Meine Rechte bleibt in der Manteltasche, aber sie ist bereit. Der Junge sieht mich erschrocken an.
»Ich habe Geld«, sagt er.
Er öffnet mit zwei Fingern seine Jacke, und jetzt sehe ich auch das Bündel und lasse ihn los.
»Das sind fast tausend Dollar«, sagt er.
»Sie sind ein verdammter Idiot!«, sage ich und schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. Der Junge versteht nicht.
»Tausend Dollar«, sagt er. »Die sind für Sie. Verstehen Sie, Reggie? Das Geld gehört Ihnen.«
Ich schaue die Main Street hinunter. Niemand zu sehen. Keine Menschen. Keine Adler. Es wird Zeit, dass ich gehe.
»Das Einzige, was ich dafür verlange, ist, dass Sie mir helfen, mit Mr. Weißenberg Kontakt aufzunehmen«, sagt der Junge. »Das ist alles.«
Ich schüttele den Kopf und lasse den lebensmüden Trottel mit seinem Geld zurück. Schon nach wenigen Schritten folgt er mir.
»Wo wollen Sie hin?«
»Gehen Sie nach Hause!«, sage ich. Und dann füge ich hinzu: »In jeder anderen Stadt wären Sie längst erschossen worden.«
Aber es ist sinnlos. Der Junge versteht es nicht, er kennt das Spiel nicht. Er kennt nicht die Regeln. Es wäre falsch, ihm einen Vorwurf zu machen.
»Gehen Sie nach Hause«, sage ich noch einmal, weil es sonst nichts mehr zu sagen gibt.
Der Junge läuft neben mir her. »Sie müssen mir helfen! Bitte, es gibt sonst niemanden, an den ich mich wenden kann!« Einige Schritte lang ist er ruhig, dann sagt er: »Wie lange leben Sie schon in Porterville?« Ich antworte nicht. »Wissen Sie, was hier geschieht?«
Ich bleibe stehen und schaue ihn an. Schaue an ihm vorbei. Zwei Obdachlose, auf der anderen Straßenseite. Sie starren zu uns herüber. Der eine fängt leise an zu keuchen, als sich unsere Blicke kreuzen.
»Halten Sie den Mund!«, presse ich zwischen den Zähnen hervor.
Der Junge dreht sich verwundert um, und ich gehe weiter, laufe beinah. Sofort beginnt mein linkes Knie zu pochen, immer stärker und schon bei der nächsten Ampel muss ich mein Tempo verlangsamen. Der Junge holt mich ein.
»Sie wissen davon, richtig? Ich sehe es Ihnen an, Sie wissen davon! Von den verschwundenen Menschen, von dem St. Helena Park, von dem Darkside ...«
Ich packe ihn, stoße ihn in die Seitengasse. Er will etwas sagen. Ich schubse ihn weiter ins Dunkle. Er stolpert, eine Mülltonne fällt um. Sein Mund öffnet sich, aber da packe ich schon seine Gurgel und drücke ihn gegen die Backsteinmauer. Er versucht, sich zu befreien. Meine rechte Hand verlässt die Manteltasche und mit ihr das Springmesser. Die Klinge schnappt heraus, und die Augen des Jungen weiten sich.
»Halts Maul!«, zische ich. »Halt endlich dein verdammtes Maul!«
Er ist still. Er starrt auf das Messer.
»Ich kann dir nicht helfen, niemand kann dir helfen! Hast du das verstanden?«
Er nickt, er zittert.
»Wenn ich dich noch einmal sehe, wenn du mir noch ein einziges Mal über den Weg läufst, dann …« Ich bewege die Klinge hin und her. Seine Augen folgen ihr. Er hat verstanden. Ich lasse ihn los.
Ich gehe, verlasse die dunkle Seitengasse. Als ich die Straße erreiche, höre ich ein Würgen. Ich achte nicht darauf. Ich schaue mich auch nicht um, schaue nicht nach, ob die beiden Obdachlosen noch da sind. Ich gehe nur. Ich will nach Hause.
Später in der Nacht, vielleicht ist es auch schon Morgen, sehe ich ihn wieder, den Jungen. Ich sehe ihn, wie er da kauert, zwischen den Mülltonnen. Und meine Hand, wie sie ihn gegen die Mauer drückt. Der Junge weint, und ich drücke fester zu, und jetzt bemerke ich, dass ich es bin, der weint, nicht der Junge.
Trübes Licht sickert durch die Jalousien, auf der Straße hupt ein
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