Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
Wagen. Mein Kopfkissen ist nass. Ich gehe in die Küche und koche Kaffee. Ich sitze auf dem Campingstuhl, an dem kleinen Tisch und denke nach. Die Bilder früherer Träume kommen zurück, von Martha, aber auch von anderen, und sie vermischen sich mit dem, was ich gesehen habe. Mit meinen eigenen Augen. Was ich gehört habe, was ich weiß. Ich denke nach und irgendwann komme ich zu dem Schluss, dass ich lange genug dagesessen habe.
Die Bibliothek ist alt und riesig. Ich gehe entlang der hohen Bücherregale. Ich kann mich nicht erinnern, jemals zuvor hier gewesen zu sein. Immer neue Regale schließen an, zweigen ab, dazwischen kleine Inseln aus Lesesesseln und –pulten. Ich überquere Mittelgänge, betrete neue Abteilungen.
Als ich den Jungen endlich entdecke, hat er mich längst gesehen. Er steht hinter einem halbleeren Bücherwagen und starrt mich an. Ich nehme ein Buch aus dem Regal und lege den mitgebrachten Zettel hinein. Ein schmaler Streifen guckt oben heraus. Ich gehe zu dem Jungen. Er rührt sich immer noch nicht.
Ich lege das Buch auf den Wagen. Der Junge reagiert nicht. Er starrt mich nur an, schwitzt. Er versteht nicht, also schlage ich das Buch auf. Er sieht den Zettel und liest. Dann schaut er auf. Er nickt.
»Wie haben Sie mich gefunden?«, fragt er später.
»Sie haben mir Ihren Namen gesagt«, antworte ich.
Wir sitzen an dem Ententeich zwischen Reservoir Hill und Neal Street und schauen aufs Wasser hinaus. Es ist warm für die Jahreszeit. Alle Holzbänke sind besetzt. Der Park ist voller Menschen; Familien, junge Leute, Mütter mit Kinderwagen. Doch die Sonne berührt bereits die Dächer der Wohnblocks im Nordwesten. In einer halben Stunde wird der Park ein anderer sein.
»Sie haben also noch mal über mein Angebot nachgedacht?«, fragt der Junge.
»Ja.«
»Das heißt, Sie helfen mir, mit Mr. Weißenberg Kontakt aufzunehmen?«
»Das habe ich bereits«, sage ich. Und weil er mit Sicherheit wieder nicht versteht, füge ich hinzu: »Er sitzt neben Ihnen.«
»Ich habe mir so was schon gedacht«, sagt er. Ich weiß, dass das gelogen ist, aber das macht nichts.
Der Junge fragt: »Ist es hier sicher?«
»Ich glaube, so etwas gibt es in Porterville nicht. Sicherheit. Dieser Ort ist so gut wie jeder andere.«
Dann schweigen wir eine Weile, und als ich zur Seite schaue, liegt zwischen uns auf der Bank ein gefalteter Zettel.
»Die Liste«, sagt er.
Ich nehme sie und lese. »Ein Einbruch?«, frage ich und stecke die Liste in meine Manteltasche.
»Ja … so was in der Art.«
»Und wo?«
Er antwortet nicht. Er starrt aufs Wasser hinaus.
»Ich muss wissen, was Sie vorhaben«, sage ich. »Denn worauf Sie sich einlassen, darauf lasse ich mich auch ein.«
»Die psychiatrische Abteilung des ›Kennedy Medical Centers‹«, sagt er schließlich.
Mein Magen zieht sich zusammen. »Ihre Frau?«
»Nein, eine Freundin. Eine gute Freundin.«
Er sieht mich an. »Wissen Sie, was mit den Menschen dort passiert?«
Ich schüttele den Kopf. Ein alter Reflex. Ich weiß von nichts.
»Sie werden umprogrammiert«, sagt er. »Ich habe Menschen gesehen, die von dort entlassen wurden. Es ist, als wären sie gar nicht mehr da. Als hätte man alles, was sie einmal waren, in eine kleine Schachtel gepackt und in einen tiefen, dunklen Brunnen geworfen. Ich weiß nicht einmal, ob es überhaupt noch Menschen sind.«
Einen kurzen Augenblick lang will ich ihm vom ›Abidias Asylum‹ erzählen, von dem Keller, der unterirdischen Anlage. Doch dann frage ich nur: »Sie sprechen von den Obdachlosen, richtig?«
»Ja«, sagt der Junge. Und beide verspüren wir den Drang, uns umzusehen. Das Ufer, die Bänke, die Wiesen und Wege hinter uns abzusuchen. Es ist still geworden. Die Menschen sind verschwunden. Die Schatten der Wohnblocks ziehen über den Teich, werden länger und länger. So schnell, dass ich mir einbilde, die Bewegung verfolgen zu können.
»Wie kann ich Sie erreichen?«, frage ich schließlich.
Er gibt mir eine Visitenkarte.
»Sobald ich alles habe, lasse ich Ihnen eine Nachricht zukommen«, sage ich. »Ich setze mich mit Ihnen in Verbindung, nicht andersrum. Und ganz gleich, was passiert: Kommen Sie nie wieder ins ›Corey’s‹. Sie haben schon genug Aufmerksamkeit erregt.«
Ich schaue zur Seite, der Junge nickt.
»Was ist mit dem Geld?«, fragt er. »Ich habe jetzt nichts dabei, aber …«
Ich hebe die Hand. »Es geht nicht ums Geld.«
»Um was dann?«
Es gibt so viele Gründe und nur so Weniges, was
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