Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
Seitenwand besaß der Wagen ein kleines Fenster. Zunächst war ich unsicher, ob ich einen Blick ins Innere werfen sollte, aber schließlich waren meine Neugier und diese unbestimmbare Empfindung stärker. Die zweiteilige Scheibe starrte vor Schmutz und war völlig undurchsichtig. Mit meinem Jackenärmel wischte ich über das Glas, bis ein kleiner Sichtkreis entstanden war. Im Inneren herrschte diffuses Halbdunkel. Nachdem ich meine Augen mit den Händen gegen das Sonnenlicht abgeschirmt hatte, erkannte ich, dass der Wagen vollkommen leer war. Es gab weder einen Tisch, noch einen Stuhl, gar nichts. Schon wollte ich mich wieder abwenden, da fiel mein Blick plötzlich auf einen kleinen Gegenstand, der in der hintersten Ecke des Wagens auf dem Boden lag. Zwar war er dick von Staub bedeckt, doch ich erkannte augenblicklich, was es war:
Das rote Flugzeug von Scott Harrison.
Durch einen schmalen Spalt zwischen zwei Holzbrettern fiel ein Sonnenstrahl auf das Spielzeug. Die Flügel des weißen Vogels leuchteten wie Elfenbein.
An diesem Abend beschloss ich zu fliehen. Ich benötigte einige Stunden, um die notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Doch ich wollte unbedingt noch in derselben Nacht aufbrechen, damit ich es mir am nächsten Morgen nicht noch anders überlegte. Da die einzige Straße Richtung Denton sicher überwacht wurde, hielt ich es für aussichtsreicher, mit dem Zug zu entkommen. So verließ ich kurz vor Mitternacht das Haus und fuhr durch die menschenleeren Straßen einer Stadt, die niemals die meine gewesen war.
Als ich am Bahnhof ankam und mich in der großen Wartehalle umblickte, wurde mir mit einem Schlag bewusst, wie unfassbar lächerlich mein Vorhaben war. Ich sank auf die Knie und verfiel in hysterisches Lachen.
Kein Zug würde hier ankommen oder abfahren.
Kein Zug hatte dies jemals getan.
Und während ich auf dem gefliesten Boden der Bahnhofskulisse lag und Tränen der Verzweiflung lachte, begriff ich zum ersten Mal, wie ahnungslos ich wirklich gewesen war. Und wie gut sie waren.
Die Bahnhofsstation Porterville existierte nicht.
Porterville existierte nicht.
Nicht für jemanden wie mich.
Und aus einer Stadt, die nicht existierte, konnte man nicht fliehen.
So drehte ich mich um und kehrte zurück.
Das war vor einer Stunde.
Mein Name ist Frank Morgan.
Ich habe etliche Jahre vergeblich versucht, das Rätsel jenes verfluchten Ortes zu lösen, an dem so viele Menschen für immer verschwunden sind. Nun steht jemand vor meiner Tür, um mir endlich den Weg zu zeigen.
Tief nach unten … zum Darkside Park.
Porterville Times
von Christoph Zachariae
Kapitel 5 - Band 1
Seit einer ganzen Weile verlief mein Leben ohne Überraschungen. Probleme, wenn es sie überhaupt gab, waren logistischer Natur. So war es auch in diesem Moment. Misses Johannsen, eine alte Jungfer mit Damenbart, eilte in meine Richtung.
Misses Johannsen »Mr. Prey? Sie haben nicht zufällig die neuen Bücher gesehen?«
Martin Prey »Ich hab mir erlaubt, sie einzusortieren, Misses Johannsen: 16 - C4.«
Misses Johannsen »16 - C4. Ist das richtig?«
Martin »Selbstverständlich ist das richtig. Es sei denn, Sie haben eine neue Ordnung eingeführt. Haben Sie das etwa, Misses Johannsen? Ohne mich zu informieren?«
Misses Johannsen warf mir einen ihrer vielsagenden Blicke zu.
Misses Johannsen »Danke. Haben Sie vielen Dank, Mr. Prey.«
Sie suchte Fehler, doch sie fand keine. Ich erledigte meine Arbeit fehlerfrei. Wenn ich in der Bibliothek ein Buch in ein Regal stellte, konnte ich mir merken, wo es stand. Ich wusste Zahlencode und Position und vergaß sie nicht. Misses Johannsen war bei der letzten Beförderung übergangen worden. Sie hätte eigentlich die Leitung der Bibliothek übernehmen sollen. Stattdessen wurde ich berufen. Aus Rache hatte sie beschlossen, mich zu sabotieren. Ich wusste zum Beispiel, dass sie die Stellenanzeige für die Aushilfe nicht an die Zeitung weitergegeben hatte.
Misses Johannsen »Und wie heißt der Autor, Mr. Prey?«
Misses Johannsen war noch nicht fertig.
Martin »Schauen Sie doch nach, Misses Johannsen.«
Misses Johannsen »Sie sind der Bibliothekar. Sie sollten sich Autoren merken.«
Martin »Ich kenne den Autoren.«
Ich log. Titel und Autor konnte ich mir nicht merken. Warum auch? Ich war der Archivar und kein Literaturkritiker.
Mein Name: Martin Prey. Seit einem halben Jahr leitete ich die Stadtbibliothek von Porterville. Ich sortierte Bücher und führte ein überraschungsfreies
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