Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
das Tom?«
Sie schlug die Augen nieder und nickte.
Sarah »Er ist in der Küche.«
Ich ging zurück auf den Flur, folgte ihm ein Stück und betrat vorsichtig die Küche. Ich traute meinen Augen nicht. Unter dem Küchentisch saß ein ausgemergelter Mann in zerschlissener Kleidung. Er kauerte auf allen Vieren, beugte sich wie eine Hyäne nach vorn und schob sich laut schmatzend Fleischstücke in den Mund. Das Fleisch war roh und blutig. Sein Gesicht blutbeschmiert. Plötzlich hielt er inne und starrte mich an. Entsetzt wich ich zurück und stieß mit Sarah zusammen.
Martin »Das Fleisch ist roh.«
Sarah »Er isst nichts anderes.«
Martin »Bist du sicher, dass das Tom ist?«
Sarah schloss die Augen. In diesem Moment wurde mir etwas klar. Die Erkenntnis war so stark, dass mir schlecht wurde. Ich war ein Glückpilz. Ein Privilegierter. Wenn Dorothy mich nicht beschützt hätte, würde ich jetzt wie Tom auf dem Boden kriechen und rohes Fleisch in mich hineinschlingen.
Sarah begann zu weinen.
Sarah »Du musst mir helfen. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Ich durfte ihr nicht helfen. Ich hätte sofort alles für sie getan, doch ich durfte nicht. Es war mir verboten worden. Wie gelähmt starrte ich das Ding an, das einmal ein Mensch gewesen war.
Martin »Du musst zu einem Psychiater gehen. In eine Nervenklinik.«
Sarah schüttelte den Kopf.
Sarah »Er wird sein Stipendium verlieren.«
Martin »Sarah. Wenn er so bleibt, wird er sein Stipendium nicht antreten können. Ich kann dir nicht helfen. Du musst ins Krankenhaus. In die Neurologie.«
Sarah schloss die Augen, lehnte den Kopf an den Türrahmen und weinte. Dicke Tränen rollten ihre Wangen hinunter.
Martin »Je schneller du ihn hinbringst, desto besser.«
Sarah »Okay. Ich bringe ihn morgen hin.«
Martin »Es tut mir Leid, dass ich dir nicht helfen kann.«
Sarah »Schon okay.«
Sie brachte mich zur Tür. Mir zersprang das Herz, als ich Sarah noch einmal in die Augen sah und ihre Enttäuschung entdeckte.
Es dauerte eine Weile, bis ich den Heimweg antreten konnte. Ich verspürte nicht die geringste Lust, nach Hause zu gehen. Ich schlenderte an Schaufenstern vorbei, sah hinein, ohne mich für etwas zu interessieren. Irgendwann stand ich vor der Haustür, doch ich wollte nicht nach Hause. Es war mir in diesem Moment egal, dass das eventuell jemand nicht gut finden könnte. Ich blieb stehen und versuchte, eine Entscheidung zu treffen. Unwillkürlich wanderte mein Blick auf die andere Straßenseite. Ein Straßenschild. Jeden Morgen ging ich daran vorbei. Es gehörte so sehr zum gewohnten Straßenbild, dass ich es nicht mehr wahrnahm.
Auf dem Schild stand: ›Ambassador‹. Der Bereich daneben war mit drei goldenen Sternen verziert. ›Gehobene französische Küche. Weine á la carte ab 150 Dollar‹.
Ich wechselte die Straßenseite. Eine Stimme in mir warnte mich eindringlich. Ich ignorierte sie. Ich wollte nur die Aussicht genießen.
Ich betrat so selbstverständlich wie möglich – als wäre ich Stammgast - die Lobby des ›Olympic Regent‹. Gedämpftes Licht. Edle Metalle und Mahagoni. Leise Klaviermusik. Der dezente, angenehme Duft frisch geschnittener Blumen. Ohne mich umzusehen, betrat ich den Fahrstuhl und fuhr nach oben. Mit einem wohlklingenden Glockenklang erreichte ich das ›Ambassador‹. Eine Handvoll Gäste teilten sich gemütliche Separées. Ich stellte mich zu einer Gruppe, die kurz vor mir angekommen war und vom Oberkeller in Empfang genommen wurde. Ich hatte Glück. Er zählte mich mit und wies einen Untergebenen unauffällig an, einen zusätzlichen Stuhl zu besorgen. Ich lächelte einer Dame zu, folgte der Gruppe zum Tisch, um mich rechtzeitig von ihr zu lösen und auf die Dachterrasse zu verschwinden.
Es war seltsam, das Dach des gegenüberliegenden Hauses zu sehen und zu entdecken, dass sich knapp unter dem First ein winziges Fenster befand. Ich sah mich um. Eine Gruppe von Gästen in eleganter Abendgarderobe stand auf der Terrasse und unterhielt sich angeregt. Am anderen Ende stellte sich eine wohlhabende Familie für ein Hochzeitsfoto auf. Niemand der Anwesenden wusste, dass ich eine Woche lang in einer Dachkammer auf der gegenüberliegenden Straßenseite gefangen gehalten worden war, dessen war ich mir plötzlich sicher. Denn genau in diesem Moment, als ich an die Brüstung der Dachterrasse des ›Ambassadors‹ trat und in die Richtung meines Gefängnisses sah, versank hinter dem Dachfirst des Hauses auf der
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