Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
ich Ihnen eine Frage stellen, Officer?«
»Wenn’s Ihnen Spaß macht …«, sage ich.
»Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: Sie warten auf die Bahn, es ist frühmorgens, Sie sind auf dem Weg zur Arbeit. Der Bahnsteig ist leer, abgesehen von Ihnen und einem Betrunkenen. Einem groben, ungewaschenen Kerl, der die ganze Zeit über Flüche ausstößt. Er beschimpft sie und droht, Ihnen die Fresse zu polieren. Aber vorher müsse er noch … pissen. Er stellt sich also an den Rand des Bahnsteigs und uriniert auf die Gleise. Auf der Anzeige sehen Sie, dass die Bahn in einer Minute kommt. Was tun Sie? Wie gesagt, es ist niemand außer Ihnen beiden da.«
»Was ist denn das für eine beschissene Frage?«, kommt mir Herb zuvor.
Shipman lacht. »Genau dasselbe habe ich Miss Waters auch gefragt. Und glauben Sie mir, da gab es noch ganz andere Fragen.« Er wird wieder ernst. »Kranke Fragen. Und dann bin ich plötzlich eingeschlafen. Das war ein sehr seltsames Interview.«
Sallys Stimme erklingt aus dem Funkgerät: Shipman ist sauber.
»Also gut, mein Freund: Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten«, sagt Herb. »Entweder wir nehmen dich fest, wegen Hausfriedensbruch und Angriff auf einen Polizeibeamten …«
Shipmans Augen weiten sich. »Nein, das geht nicht! Sie dürfen mich nicht einsperren!«
»… oder du verschwindest freiwillig«, beendet Herb seinen Satz. »Hier bleiben kannst du auf jeden Fall nicht. Das ist Privatbesitz.«
»Ich verschwinde, das ist überhaupt kein Problem. Ich … ich muss sowieso weiter.«
»Morgen früh komme ich wieder her. Wenn du dann noch da bist, lernst du meine unfreundliche Seite kennen«, sagt Herb.
»Ich werde Ihnen keine Schwierigkeiten machen. Versprochen, Officer!«
»Gut.«
»Soll ich Ihnen die Adresse eines Obdachlosenasyls geben?«, frage ich.
»Nein. Nein, danke.« Er senkt den Blick, Blut tropft aus seinem Bart. »Da gibt es Kühlschränke. Und wissen Sie, Kühlschränke können sehr böse Überraschungen bereithalten.«
Der Schlag auf den Kopf hat ihn anscheinend ziemlich aus der Bahn geworfen.
»Komm, wir gehen«, sagt Herb.
Als wir im Flur sind, ruft Shipman uns hinterher: »Was ist mit meinem Messer?«
»Das behalte ich lieber«, sagt Herb. »Nachher verletzt du noch jemanden damit.«
»Wahrscheinlich hätte es mir ohnehin nicht geholfen«, sagt Shipman.
Er klingt resigniert, hoffnungslos. Für einen kurzen Augenblick spüre ich den Drang, ihm sein Messer zurückzugeben. Doch dann treten wir schon hinaus in die Nachmittagssonne und lassen Shipman hinter uns. Allein in der Dunkelheit.
»Du fragst dich bestimmt, warum wir ihn nicht mitgenommen haben«, sagt Herb später, als wir im Wagen sitzen.
»Es gibt genug große Fische im Teich, da kann man so einen kleinen ruhig mal zurückwerfen«, sage ich.
Herb schaut zur Seite. »Warum ist einer wie du eigentlich von der Mordkommission in den Streifendienst gewechselt?«
Ich antworte nicht.
»Pass auf: Das Problem ist«, sagt Herb und rutscht im Sitz hin und her, »der Boss kann kein Blut sehen.«
»Wie meinst du das?«
»Er mag es einfach nicht, wenn du jemanden blutverschmiert aufs Revier bringst. Darauf kann er überhaupt nicht!«
»Der Kerl hatte ein Messer, Herb! Was sollte ich denn machen?«
»Ich war dabei, Kleiner, ich weiß das. Du hast nichts falsch gemacht. Aber Fakt ist, der Boss sieht so was nicht gerne. Porterville ist eine friedliche Stadt mit friedlichen Menschen. Das ist nicht Los Angeles, verstehst du? Also, wenn du jemanden schlägst, dann nicht ins Gesicht, okay? Schlag ihm in die Nieren oder in den Bauch, da sieht das keiner.«
Abends sitze ich zu Hause, schaue ein Spiel der Baltimore Ravens und trinke Bier. Nach dem ersten Sixpack beim Halbzeitstand von 21 zu 6, rufe ich Emily an. Wie immer geht niemand ran. Zwei Ballverluste später gehe ich in die Küche und öffne den Kühlschrank. Ein ›Frozen King A plus‹ mit Gefrierkombination und Eiswürfelmaschine – ein weißes Mammut, dessen Extras und Ausmaße ich wohl niemals nutzen werde. Aber der Vormieter hat ihn mir preiswert überlassen, und die Eiswürfelmaschine tut ihren Dienst. Hinter der Chili-Sauce und dem Ketchup entdecke ich eine fast volle Flasche Scotch. Manchmal halten Kühlschränke böse Überraschungen bereit, denke ich und betrachte die Flasche. Dann hole ich ein Glas aus dem Schrank.
Die Ravens haben inzwischen verloren mit 44 zu … keine Ahnung. Ich rufe noch einmal bei Emily an. Dieses Mal lasse ich es
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