Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
Himmelsschauspiel zu betrachten. Der Anblick raubte mir fast den Atem.
Die gewaltige Wolkenreihe war mittlerweile bereits über den Wäldern und schien immer schneller heranzunahen. Erst jetzt konnte ich ihr wahres Ausmaß erkennen: Die furchterregende Wolkenwand füllte nun den gesamten Himmel aus. Ihre Form war mit nichts zu vergleichen, was ich je zuvor gesehen hatte.
Und da! Hoch oben am Kamm des donnernden Wolkengebirges sah ich plötzlich gleißend silberne Lichter aufblitzen. In atemberaubender Geschwindigkeit zuckten sie hin und her wie brennende Pfeile. Und hinter dem Licht …
Doch in diesem Moment hatten wir eine Hügelkuppe erreicht, die mir nach ihrer Überwindung den Blick zurück versperrte.
»Schneller!«, rief Se-Temm verärgert. »Schau gefälligst nach vorn!«
So liefen wir weiter. Immer wieder stolperten wir, fielen hin, mussten uns mit Jutaka mühsam hochkämpfen und liefen weiter. Längst hatten wir den Wald erreicht, doch wir liefen weiter, bis wir vor Erschöpfung umfielen. Tiefe Schwärze umfing uns.
Als wir wieder erwachten, war es bereits Tag.
Der schrille Ruf eines Vogels blies die letzten Schwaden der Benommenheit beiseite. Ein Falke zog majestätisch am blassblauen Himmel seine Kreise. Die furchtbaren Ereignisse der letzten Nacht waren nur noch schemenhafte Erinnerungen. Fern und unwirklich wie ein wirrer Traum.
Während wir uns langsam aufrappelten, rief Ma-Tu: »Ni-Katea! Seht doch nur! Ni-Katea ist aufgewacht!«
Tatsächlich. Noch sichtlich verwirrt blinzelte Ni-Katea dem sanften Sonnenlicht entgegen. Überschwänglich umarmten wir den wieder ins Leben zurückgekehrten Freund.
So groß die Freude über das Erwachen Ni-Kateas auch war, so bedrückend war es doch, dass Jutaka bewusstlos blieb. Nichts vermochte ihn der stumpfen Leere zu entreißen, die seinen Geist gefesselt hielt.
Bevor wir wieder aufbrachen, fertigten wir aus Birkenholz und einigen Lederstricken eine Bahre, auf die wir Jutaka betteten. Nun konnte die Reise weitergehen. Hia-Takees Fußspuren wiesen uns den Weg. Auch wenn wir nicht darüber sprachen, so waren wir uns doch sicher, dass der Mann in dem Blockhaus niemand anderer gewesen war als der Namenlose, der uns seit Anbeginn unserer Reise verfolgte. Und ebenso wussten wir, dass wir seinem bösen Spiel weiterhin ausgeliefert waren, auch wenn wir dem schrecklichen Ort hatten entkommen können.
Wegen Jutaka kamen wir nur langsam voran. Während wir mit ungewissem Ziel dahingingen, musste ich zum ersten Mal seit langem an zu Hause denken. An das sanfte Lächeln meines Vaters, in dessen Armen ich immer Trost gefunden hatte, wenn ich traurig war. Und an das liebevolle Leuchten in den Augen meiner Mutter, ihre helle Stimme, mit der sie mich jeden Abend in den Schlaf gesungen hatte.
Wie sehr vermisste ich sie. Wie sehr wollte ich heim.
Mit einem Mal begann ein starker Wind zu blasen, und heftiger Schneefall setzte ein. Binnen kürzester Zeit konnte man keine Hand mehr vor Augen sehen, geschweige denn die Spur weiter verfolgen. So ließen wir uns eng gedrängt im Kreis nieder und stülpten unsere Felljacken wie ein schützendes Zelt über die Köpfe.
»Wir werden die Spur verlieren!«, rief Ti-Kahonn gegen das Heulen des Windes an. »Der Schnee wird alles zudecken! Was sollen wir dann machen?«
Darauf gab es keine Antwort. Wir konnten nichts anderes tun, als abzuwarten und zu hoffen, dass dieser Sturm nicht das Ende unserer Reise sein würde. Jutaka lag in unserer Mitte. Wir wärmten ihn, so gut es ging. Die kalten Krallen der Angst gruben sich mit jeder verstreichenden Minute tiefer in unsere Herzen. Würde Hia-Takee nach Abflauen des Sturmes noch da sein? Grimmig klammerte ich mich an die Gewissheit, dass es nicht anders sein konnte.
Und dann war plötzlich wieder dieses Flüstern da, wie damals im Nebel. Selbst über das Tosen des Windes hinweg war das grässliche Zischen zu hören: »Gleich, gleich, gleich, gleich, gleich, gleich, gleich …«
Es wurde leiser und kurz darauf wieder lauter, so als tanze die unsichtbare Gestalt wild kreisend um uns herum: »Gleich, gleich, gleich, gleich – wird das Kälbchen aufgemacht!«
Die letzten Worte waren kein Flüstern mehr, sondern ein sich überschlagendes, gieriges Fauchen. Der kleine Ma-Tu begann zu keuchen und am ganzen Körper zu zittern.
»Er soll verschwinden!«, rief er voller Entsetzen. »Macht, dass er verschwindet!«
Wieder ertönte das grauenhafte Flüstern hinter den wogenden Schleiern aus
Weitere Kostenlose Bücher