Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
Fassungslos sank ich auf die Knie und schloss mehrmals die Augen, um mich zu vergewissern, dass ich nicht träumte.
Durch meinen Kopf zuckte eine alte Prophezeiung unseres Schamanen: »Am Ende der Zeit wird das Land auseinander brechen und der Himmel zur Erde hinabstürzen.«
Wie eine Erfüllung dieser Voraussage offenbarte sich mir ein Anblick, der für immer und alle Zeit in mein Gedächtnis eingeschlossen sein wird: Die Großen Väter waren den Tiefen der Erde entstiegen und hatten den Mond vom Himmel gerissen!
Neben mir war auch Ni-Katea zu Boden gesunken. Gemeinsam starrten wir regungslos auf den riesenhaften Krater, der die gesamte Lichtung ausfüllte. Die steilen Abhänge reichten mindestens hundert Fuß in die Tiefe und maßen von einer Seite zur anderen ein Vielfaches mehr. Flirrende Rauchschwaden lagen in der Luft, unerträglich schrille Töne stiegen in die Nacht auf.
Und wahrhaftig – tief unter uns ragte weiß leuchtend die gewölbte Oberfläche des Mondes aus dem dunklen Erdreich hervor. Auf ihr wandelten in unvorstellbaren Bewegungen die Schattengötter umher. Bei ihrem Anblick traten mir Tränen der Ehrfurcht und Angst in die Augen. Diese Wesen waren grauenvoll und erhaben zugleich. Ihre Farbe reichte von tiefem Blutrot bis zum leuchtendsten Gelb der Mittagssonne. Sie besaßen nur ein einziges pupillenloses Auge, das nahezu ihr gesamtes Gesicht ausfüllte. Zuckende blaue Flammen schienen sich darin widerzuspiegeln. Lange dünne Hörner ragten wie Speere aus ihren Köpfen und Rücken.
Ein auf- und abschwellendes Dröhnen drang aus dem Abgrund der Erde empor, und überall stoben glitzernde Funken wie Abertausende von Leuchtkäfern hin und her.
Während wir noch gebannt das unwirkliche Geschehen beobachteten, wandte eines der Wesen unvermittelt den Kopf in unsere Richtung, und sein riesiges glänzendes Auge starrte zu uns hinauf. In tiefem Schwarz funkelte leblose Kälte.
Plötzlich erstarb das unterirdische Donnern, und ein gewaltiges Licht begann zu erstrahlen, heller als alle anderen. Gleißende Feuerzungen lohten aus der Mitte des Kraters in den Himmel. Ein Meer aus strahlend weißem Licht ergoss sich über den Boden. Geblendet musste ich mich zur Seite drehen – und sah nur noch, wie der bleiche Namenlose direkt hinter mir stand und mir mit einem grässlichen Grinsen zuzwinkerte. Im selben Moment richtete er einen glühenden Dorn auf mich. Ein ohrenbetäubend schrilles Zischen und der gellende Schrei Ni-Kateas trugen mich in die Finsternis.
Als ich vorhin erwachte, graute bereits der Morgen. Ich lag zusammengerollt unter einer großen Tanne, mitten im Wald. Die Lichtung war nicht mehr zu sehen. In böser Gewissheit sah ich mich um.
Ni-Katea war verschwunden. Allein ein weißes Blatt zeugte davon, wer ihn mit sich genommen hatte.
Nun bin nur noch ich übrig. Doch ich habe versagt.
Ich war auf der verbotenen Lichtung und habe es nicht vermocht, die Großen Väter um Gnade zu bitten. Mein Wille und meine Kräfte sind dahin.
Hier muss es nun ein Ende haben.
Nach einem letzten Blick zu den tiefgrünen Baumkronen schließe ich meine Augen und spüre, wie tiefe Ruhe mich umfängt.
Friedvolle, befreiende Ruhe. Und während der stete Wind mich sanft mit Schnee bedeckt, glaube ich zu spüren, wie jemand an mich herantritt.
Als ich aufblicke, sehe ich das strahlend schöne Gesicht eines Mädchens vor mir. Große kristallblaue Augen blicken mich an. Trotz aller Qual, die meinen Körper schüttelt, muss ich lächeln.
»Ya-Lia … du bist es. Die Geister seien gepriesen. Dann ist es doch noch nicht zu spät. Gemeinsam können wir es schaffen! Die verbotene Lichtung ist ganz in der Nähe!«
Verständnislos starrt mich Ya-Lia an.
»Wovon redest du? Wir sind keine hundert Schritte von deinem Dorf entfernt! Ich bin doch soeben erst aufgebrochen, und du bist mir nachgerannt! Geh zurück. Auf diesem Weg kann mich niemand begleiten …«
Damit wendet sie sich um und geht. Lange blicke ich dem Mädchen nach. Eine schmale helle Gestalt mit wehendem Haar, die langsam im Schatten der Bäume verschwindet.
Bald nur noch Wind, Schnee und Kälte.
Und ein leises Flüstern tief in den Wäldern.
Die Engländer kennen ein Großes Buch, in dem geschrieben steht: »Und ich sah ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war der Tod, und die Hölle folgte ihm nach.«
Heute weiß ich: Nicht das Pferd ist von bleicher Farbe, sondern der Mann, der es reitet …
Porterville Steaks
von Raimon
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