Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
suchte den Highway in beiden Richtungen nach einem weiteren Fahrzeug ab. Vergeblich. Etwa hundert Meter hinter mir blitzte etwas in der Sonne auf. Mein Rückspiegel. Ich verriegelte vorsichtshalber den Wagen und rannte los, um ihn zu bergen. Als ich den Spiegel aufhob, stellte ich fest, dass das Glas gesprungen war. Nicht die Leitplanke hatte ihn vom Wagen gerissen, sondern das Metallgerüst eines Straßenschildes. Ich legte den Kopf in den Nacken und las: ›Porterville - 8 Meilen‹
Unmittelbar vor dem Auftauchen des Schildes hatte mein Sohn geschrien.
Ich lebte in New York. In einem Viertel, in dem es bei weitem nicht so hektisch wie in Brooklyn oder Manhattan zuging. Es hieß, die Chancen ständen gut, dort einen nächtlichen Spaziergang ohne Verlust des Lebens oder zumindest der Brieftasche zu überstehen. Wenn mein Viertel in die Kategorie ›ziemlich sicher‹ fiel, musste man die Stadt Porterville unter einer Bezeichnung wie ›absolut sicher‹ einordnen. Porterville wirkte wie ein Musterbeispiel für jeden, der sich danach sehnte, unbehelligt sein üppiges Barvermögen in einer Schubkarre durch die Straßen zu kutschieren. Obwohl die Stadt kein verschlafenes Nest war. Ganz im Gegenteil. Horden gut gelaunter Menschen flanierten an den stilvoll drapierten Auslagen der zahlreichen Läden vorbei. Keines der Schaufenster war vergittert. Als ich an einer Ampel warten musste, erregte ein Juweliergeschäft meine Aufmerksamkeit. Aus einer Distanz von wenigen Metern konnte ich die kostbaren Armbanduhren und Perlenketten so klar und deutlich erkennen, dass mir bewusst wurde, dass man hier auch auf dickwandiges Sicherheitsglas verzichtet hatte. Ich kannte mich in solchen Dingen ein wenig aus. Mein Vater hatte die Kunden eines großen Versicherungsunternehmens dabei beraten, wie sie die Gefahr von Einbrüchen minimieren konnten. In meiner Jugend durfte ich ihn häufig auf seinen Touren begleiten. Würde er noch unter uns weilen, Porterville hätte ihn glatt um den Verstand gebracht.
Ich hielt Ausschau nach den Namensschildern der Straßen. Ich befand mich auf der … Neal Street. Seit dem eher harmlosen Unfall auf dem Highway funktionierte mein Navigationsgerät nicht mehr. Sollte die Erschütterung das komplizierte Innenleben ruiniert haben? Zum Glück besaß ich eine Wegbeschreibung. Sarah Freeman hatte sie mir telefonisch durchgegeben. Sarah war mit meinem Freund Tom Lennox vor wenigen Wochen nach Porterville gezogen.
Tom wuchs in einem Waisenhaus auf. Er war ein paar Jahre jünger als ich. Nach seinem Schulabschluss wollte er auf eigenen Beinen stehen und nahm einen Job in einem DVD-Verleih im New Yorker Stadtteil Queens an, um sich das Geld für ein Jurastudium zusammenzusparen. Der Laden, in dem er arbeitete, zeichnete sich durch ein gutes Sortiment aus. Ich lieh mir dort Klassiker wie Peter Weirs ›Picknick am Valentinstag‹ oder europäische Avantgarde-Filme aus. Tom konnte mir selbst die ausgefallensten Werke besorgen. In dem DVD-Verleih war nie besonders viel los gewesen und so hatten wir viel Zeit zum Fachsimpeln. So wurden wir über die gemeinsame Filmleidenschaft zu Freunden. Wirklich guten Freunden.
Irgendwann lernte er Sarah kennen. Ich fand sie ein wenig aufgedreht, aber die beiden kamen gut miteinander aus. Auf jeden Fall schien er von nun an vom Glück verfolgt zu werden. Er bekam ein Stipendium. Hier, an der Universität von Porterville. Ich gönnte es ihm von ganzem Herzen. Er und Sarah packten ihre wenigen Sachen zusammen und verschwanden aus New York. Nicht ohne mir zu versichern, dass wir in ständigem Kontakt bleiben würden.
Der Kontakt ließ tatsächlich nicht lange auf sich warten. Es war Sarah, die mich anrief. Aber was sie mir mitteilte, klang beunruhigend. Tom war verschwunden. Er war einfach nicht nach Hause gekommen, und sie fragte sich, ob er sich vielleicht bei mir aufhielt. Sie hatte sich bemüht, so zu klingen, als sei das plötzliche Verschwinden ihres Freundes nur eine Lappalie. Aber ich bemerkte, wie ihre Stimme an einigen Stellen flatterte, sie viel zu schnell redete und im falschen Moment gekünstelt lachte. Ich versuchte, weitere Details zu erfragen. Sie wiegelte nur ab. Das Gespräch endete damit, dass Sarah mir versprechen musste, mich auf dem Laufenden zu halten. Das war nie geschehen. Auf meine täglichen Anrufe reagierte niemand, und so hatte ich mich heute am frühen Morgen nach Porterville aufgemacht. Mit Jerry, meinem Sohn. Ich wusste nicht, bei wem ich ihn
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