Darkside Park: Mystery-Thriller (German Edition)
hatte. Durch die dicken, grünen Vorhänge drang nur wenig Tageslicht, und die schweren Teppiche schienen jeden Laut zu schlucken. Ein schmaler Korridor führte zur Küche und ihr dürrer Finger deutete auf den schwarzweiß gemusterten Fliesenboden.
»Stellen Sie ihn ab, und dann schnaufen Sie erst mal durch. Zum Glück gibt es einen Lieferservice, wissen Sie. Ich bin allein, und es gibt einfach niemanden, der mir bei so einem Ding helfen könnte!«
Sie kicherte heiser und füllte zwei Gläser mit Eistee. Fliegen surrten unablässig am Küchenfenster, und es roch modrig und nach alter Frau. Ich wollte das Haus so schnell wie möglich verlassen.
»Das Eis müssen Sie sich dazu denken, Gentlemen, hatte ja schließlich keinen Kühlschrank. Aber wenn Sie noch Zucker haben wollen?«
Walter und ich schüttelten beide den Kopf, gaben unsere »Ach was muss ich schwitzen – ach, wie war der Kühlschrank schwer«-Nummer zum Besten und Misses Sheldrake reagierte glücklicherweise sofort. »Sie haben einen anstrengenden Beruf, Gentlemen. Lassen Sie mich doch mal sehen …«
Sie ging zu einem alten, hölzernen Küchenschrank und zog eine der Schubladen auf. Walter kippte seinen Eistee runter, und ich ermahnte mich, nicht zu ihr hinzusehen, tat es aber doch. Der gebeugte Körper der alten Frau verdeckte nur zur Hälfte den Blick auf die große Keksdose in der Schublade. Sie hob den Deckel der Dose an, und mir stockte der Atem. Sechs dicke saubere Bündel Bargeld füllten die Keksdose komplett aus. Vier Bündel nebeneinander und oben lagen zwei quer.
›Himmel, wie viel Dollar mochten das sein?‹
Sie hob eines der Bündel aus der Dose und pulte zwei Scheine unter dem Haushaltsgummi hervor, das die Banknoten zusammenhielt. Dann verstaute sie das Bündel wieder ordentlich in der Dose und schob die Schublade zu. Als sie sich zu uns umwandte, tat ich, als hätte ich mich ebenfalls intensiv mit dem Eistee beschäftigt, bis mich Walter anstieß und zu Misses Sheldrake nickte. Lächelnd hielt die alte Dame jedem von uns zehn Dollar hin.
»Für Ihre Mühe, Gentleman!«
Zehn Dollar! In der Keksdose dieser alten, gebrechlichen Frau die alleine am Waldrand lebte, mussten ein paar tausend Dollar liegen. Ich schluckte. Dann fiel mein Blick auf ein altes Gemälde an der Wand. Es war ein maritimes Motiv. Eine Gruppe von Leuten saß in einem Ruderboot. Sie waren durchnässt und froren. Im Hintergrund sah man ein Segelschiff, das vom Sturm an die Klippen gedrückt wurde und sank. Ich hielt den Atem an. Im Ruderboot saßen offensichtlich die Schiffbrüchigen, und zwischen einem Matrosen mit Bart und einem Offizier in zerschlissener Uniform konnte man das Gesicht einer Frau hervorblitzen sehen. Eine kleine Frau. Klein, mit schwarzen Haaren.
Ich presste ein »Danke schön!« hervor und machte, dass ich so schnell wie möglich aus dem Haus verschwand. Walter und Misses Sheldrake sahen mir erstaunt hinterher.
Ich lag nachts wach. Peggys Atem neben mir ging ruhig. Sie schlief auf meiner Brust. Das Bild war ein Zeichen gewesen, da war ich mir sicher.
Die ›einzige Überlebende‹ in Misses Sheldrakes Küche schien mir eine Warnung übermittelt zu haben: »Geh nicht auf dieses Schiff! Lass es sein!«
Ich hatte Angst, weil das Schicksal es mit mir ein einziges Mal gut gemeint hatte und ich trotzdem darüber nachdachte, wie ich diese einmalige Chance mit einer hirnlosen Dummheit gefährden konnte. Ich schwor mir, Misses Sheldrake zu vergessen. Und doch … und doch warf mein eigener Job kaum genug ab, um zu überleben.
Und doch gab es da diese alte Frau in ihrem abgelegenen Haus und ihre Keksdose mit vielen tausend Dollar darin.
Und doch gab es diese Fragen, die ich stellen wollte.
Die Fragen, die mir niemand beantworten wollte.
Am Montag war ich ausnahmsweise zu Fuß zu ›Seidelman’s‹ unterwegs. Es war bereits heiß, der Schweiß klebte mir das Hemd an die Haut, und an der Van Buren Street, Ecke Fillmore machte ich bei einem Kiosk halt, um mir eine Limonade zu kaufen. Ich war ohnehin früh dran. Als ich die Flasche ansetzte, bemerkte ich eine Gestalt, die an einem Fenster im zweiten Stock des gegenüberliegenden Gebäudes stand und auf die Straße hinab sah. Es war die Wohnung von Miss Bikauski, der wir an meinem ersten Samstag ihren Kühlschrank geliefert hatten. Doch am Fenster stand nicht Miss Bikauski.
Es war einer der Monteure, mit grauem Overall und Krawatte, der dort hinab sah. Er blickte auf die Straße, und ich sah zu
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