Darkyn: Blindes Verlangen (German Edition)
die Apostel selbst ausgesetzt waren. War der Heilige Paulus nicht mit Stöcken geschlagen, gegeißelt, gesteinigt und von Engeln des Satans verfolgt worden? Von den Engeln des Satans den wilden Bestien vorgeworfen, von Mauern gestoßen, verleumdet, gefesselt und geschlagen hatte der Heilige Paulus allem im Namen Gottes widerstanden – und vielleicht aus Scham über seine eigenen Verbrechen, bevor Jesus Christus ihn errettete.
Denn ihr habt ja gehört von meinem Leben früher im Judentum, wie ich über die Maßen die Gemeinde Gottes verfolgte und sie zu zerstören suchte.2
Der Apostel war nach Rom gegangen, obwohl er gewusst hatte, dass es seinen Tod bedeutete. Der mutige Heilige Paulus hatte vor dem mächtigsten aller Männer gestanden – vor Kaiser Nero selbst – nicht, um sich richten zu lassen, sondern um zu zeigen, dass er nicht gerichtet werden konnte. Deshalb hatte der Kaiser ihn töten lassen. Der größte unter den Aposteln, die Hand Gottes auf Erden, hatte ihn beschämt.
Vielleicht war es das, was Leary tun musste: vor dem Dämonenkönig stehen und ihm gestatten, ihn in seinem Wahnsinn zu verschlingen.
»Entschuldigung, Vater.« Tim Bright, der Sohn der Putzfrau, der ihr freitags beim Wischen und Staubputzen half, näherte sich ihm verängstigt. »Meine Mum schickt mich. Sie sagt, da ist ein Ferngespräch für Sie. Er will seinen Namen nicht sagen, aber Mum meint, er spricht Englisch und klingt wie ein Amerikaner.«
Leary wusste, wer das war. »Danke, Timothy.« Er erhob sich, ignorierte seine steifen Knie und tauben Beine und ging in das kleine Büro neben der Sakristei.
Das moderne Telefon, das er hatte installieren lassen, als er die Kirche übernahm, verfügte über einige Besonderheiten, die nur Leary kannte. Nachdem er die Bürotür geschlossen und verriegelt hatte, drückte er auf einen Knopf unter der Konsole, der verhinderte, dass das Gespräch mitgehört werden konnte.
In seinem Kopf hämmerte es, als er den Hörer ans Ohr hielt. »Vater Leary.«
»Orson«, sagte die Stimme mit dem Brooklyn-Akzent am anderen Ende der Leitung. »Ich bin beeindruckt. Nicht viele Brüder könnten den ganzen Morgen auf den Knien verbringen und auf die Nietnägel des Heiligen Paulus starren.«
»Ich habe gebetet, Euer Gnaden.« Woher Kardinal D’Orio immer wusste, was er in der Kirche tat, war kein Rätsel; in jeder Kirche, die von den Brüdern kontrolliert wurde, waren versteckte Überwachungskameras installiert. Die meisten Brüder erfuhren nie, dass sie beobachtet wurden; Leary hatte die Kameras zufällig entdeckt. »Welchem Umstand verdanke ich die Freude, mit Ihnen zu sprechen?«
»Deiner völligen Unfähigkeit«, erklärte Kardinal D’Orio freundlich. »Zeit, mal wieder deine Sachen zu packen. Ich versetze dich nach Irland.«
In Learys Kopf war plötzlich alles leer. »Irland?«
»Das ist das Land nördlich von euch, das ihr Engländer niemals auf Linie halten konntet«, sagte der Kardinal. »Du wärst dort begraben, wenn du deine Brüder in Dublin nicht im Stich gelassen hättest.«
Dublin. Wo alles angefangen hatte. Wo es enden musste.
»Ich bin nicht gewarnt worden.« Wie leicht ihm die Lügen inzwischen über die Lippen kamen, als würde das Böse in ihm inzwischen seine Zunge kontrollieren und für ihn sprechen. »Hätte ich gewusst, dass die Maledicti angreifen würden, dann wäre ich geblieben und im Kampf zusammen mit meinen Brüdern gestorben.«
»Du?« D’Orio schnaubte verächtlich. »Du hättest gequiekt und wärst weggelaufen wie ein kleines Mädchen. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Du hast überlebt; sie nicht. Jetzt sind die Monster hinter dir her.«
Leary wusste, dass man ihn nur vorübergehend in die Kirche nach London versetzt hatte und dass seine Tage als Mitglied des Ordens gezählt waren. Nachdem Kardinal Stoss, der Anführer der Bruderschaft, in Amerika ermordet worden war, hatte die Verwirrung in ihren Reihen fast an Chaos gegrenzt. Die Wahl von Kardinal D’Orio zum neuen Hüter des Lichts war ein cleverer Schachzug des Meisters des Lichts gewesen; D’Orio war bekannt für seine hartnäckige Verfolgung und Ausmerzung aller Verräter innerhalb des Ordens.
Aber trotz D’Orios vielfältigen Bemühungen wusste der Kardinal dennoch nicht, dass Richards Stützpunkt in Irland lag. Wenn er es gewusst hätte, dann hätte der Hüter des Lichts Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um ihn zu zerstören.
D’Orio sagte wieder etwas zu ihm, wie Leary klar wurde. »Es
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