Darkyn: Blindes Verlangen (German Edition)
seiner Handgelenke aufgehört hatte zu eitern und zum Teil geheilt war. Gabriel merkte, dass er die Hand zur Faust ballen und seine Finger ausstrecken konnte und dass das die Wunde an seinem Handgelenk weiter aufreißen ließ. Nachdem er das mehrmals gemacht hatte, blutete sie langsam, träge.
Weil er so schwach war, heilte sie nicht.
Nachdem er die Hand einen Tag lang ständig bewegt hatte, weitete sich die Wunde. Wenn er den Arm jetzt auf eine bestimmte Art bewegte, gab die Wunde so weit nach, dass er tatsächlich mit den Ketten rasseln konnte, mit denen er gefesselt war.
Er verschwendete keine Energie darauf, Geräusche zu machen, die der alte Claudio hören konnte, sondern konzentrierte sich darauf, die Wunde nicht erneut heilen zu lassen. Noch mehr Blut zu verlieren war gefährlich, aber falls sie zurückkehrte – wenn sie zurückkehrte –, hatte er bessere Chancen, ihre Aufmerksamkeit zu erregen und sie in die Reichweite seines Duftes zu bringen – und unter seine Kontrolle.
Sie würde natürlich zurückkehren. Sie musste zurückkehren.
Um sich nicht weiter den Kopf zu zermartern und seinen Duft zu verschwenden, ging Gabriel in Gedanken alles noch einmal durch. Er würde sie in den Keller locken. Wenn sie in Hörweite war, konnte er genug Lärm machen, um sie zu seiner Zelle zu führen. Sein Duft würde den Rest erledigen. Was allerdings voraussetzte, dass sie nicht immun gegen l’attrait war. Manche Menschen waren das.
Nein, das Schicksal würde nicht so grausam zu ihm sein.
Die Menschenfrau musste die Wand einreißen und ihn befreien, bevor Claudio ihre Anwesenheit entdeckte. Gabriel glaubte nicht, dass der alte Mann sie verletzen würde, aber er durfte kein Risiko eingehen. Sie verdiente es nicht, verletzt oder getötet zu werden, weil sie ihm half.
Er würde sein Talent benutzen, um den alten Mann zu beschäftigen und vom Keller fernzuhalten.
Während er das alles im Kopf durchging, tauchte ein Teil von ihm aus seinen Gedanken auf, der Teil, den er am dringendsten brauchte, um die Frau zu beschützen und dafür zu sorgen, dass sein Plan funktionierte. Es war eine kalte, gefühllose Kopie seiner selbst, begierig darauf, in das sprudelnde Loch der Vielen zurückzukehren, die sein Talent erschaffen hatten. Dieser Teil hatte keine Gefühle mehr, nur noch das Verlangen, zu überleben und sich mit den Vielen zu vereinigen.
Er wollte die Frau auf andere Weise benutzen. Sie wird dich gut nähren, sie wird dich stark genug machen, um allein zu entkommen.
Gabriel hatte dem drängenden, alles verzehrenden Hunger stets widerstanden – er wusste zu gut, dass er auch die Seele verschlang –, aber mit der Zeit war die Kälte stärker und überzeugender geworden.
Sobald sie kommt, rufst du sie und nimmst sie dir.
Gabriel wusste, dass er etwas von ihrem Blut trinken musste, um stark genug zu sein und so weit zu heilen, dass er fliehen konnte. Wie alle anderen Kyn waren alle seine Verletzungen stets spontan geheilt, wenn er gut genährt war. Seine einzige Sorge war seine Selbstbeherrschung.
Seit seiner Gefangennahme hatten die Brüder ihm kein Blut mehr gegeben.
Einer seiner Folterer hatte ihm einmal gestanden, wie überrascht sie darüber waren, dass seine Kräfte nicht so schnell schwanden wie die der anderen Kyn, die sie gefangen hielten. Sie hatten nie gemerkt, was er benutzte, um für seine Ernährung zu sorgen, oder dass er kleine Mengen von den verschiedenen Männern nahm, die ihn während seiner Gefangenschaft folterten. Sie glaubten, dass die Vielen, die ihn heimsuchten, eine Rache ihres Gottes war, zum Teil Fluch, zum Teil ausgelöst durch ihre Brutalität.
Gabriel hatte nie gerne das Blut der Menschen getrunken. Seine Abhängigkeit von Blut war ein unangenehmer Teil seiner unsterblichen Existenz; er konnte ihn kaum ertragen. Seine Ablehnung und seine Selbstdisziplin waren so groß, dass er niemals in Blutrausch verfallen war oder in Hörigkeit, jenen Traumzustand, in den man gelangte, wenn man einem Menschen alles Blut aussaugte. Selbst nachdem er sich aus dem Grab erhoben hatte, hatte ihn etwas davon abgehalten, Menschen offen anzugreifen. Er wollte glauben, dass es Mitleid war, aber vielleicht war es auch nur die Angst um das, was von seiner Seele noch übrig war.
Wir werden all ihr Blut brauchen, um diesen Ort verlassen zu können.
Gabriels Ekel schwand, während sein Hunger und seine Kälte ihn einhüllten. Es klang logisch, und er würde ihr nicht wehtun müssen. Die Vielen würden das
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