Darkyn: Versuchung des Zwielichts (German Edition)
Keller; tatsächlich war es hier schöner als oben. Die Antiquitäten waren museumsreif, die Teppiche makellos und von erfahrenen persischen Händen fein gewoben. Alles war in sehr dramatischen Schwarz-, Gold- und Rottönen gehalten, Pufffarben, aber irgendwie passte es. Mittelalterliche Bilder von Burgen und Rittern hingen an den Wänden, aber die Farben wirkten frisch, als wären sie erst gestern gemalt worden. Sie bemerkte die verhüllten Staffeleien in einer Ecke, roch die frische Ölfarbe und das Terpentin. Ein riesiges altes Buch, in verwittertes braunes Leder gebunden, lag bei einem Sessel. Die Klimaanlage war so kalt gestellt, dass die Luft klirrte. Offensichtlich lebte und arbeitete der Mann hier.
Vielleicht hat er Angst, ausgebombt zu werden. Alex sah ein merkwürdiges Arrangement aus blutroten Samtvorhängen, die von der Decke herab um ein Himmelbett hingen. Noch ein Geruch stieg ihr in die Nase, und sie blickte durchs Zimmer auf der Suche nach seiner Quelle.
»Ich bin hier, Dr. Keller.« Ein Vorhang bewegte sich. »Sie sollten sich auf meinen Anblick vorbereiten.«
Vorbereiten, dass ich nicht lache. Alex hatte schon schwer verletzte und entstellte Leute gesehen, die nicht einmal mehr entfernt an Menschen erinnerten. Machte er sich wirklich Sorgen, dass seine faltigen Wangen sie schockieren könnten?
Als sie auf das Bett zuging, war sie endlich in der Lage, den merkwürdigen Geruch zu identifiziere n – es duftete nach Rosen, genau wie das Briefpapier, das er ihr geschickt hatt e – und je näher sie kam, desto intensiver wurde der Duft. Als würde Cyprien in einem Bett aus Rosen liegen.
Vielleicht tat er das. Nachdem er sie hatte entführen lassen, so als decke seine Versicherung das als ärztliche Überweisung ab, konnte sie nichts mehr überraschen.
Philippe stellte sich vor si e – für einen großen, kräftigen Mann konnte er sich pfeilschnell bewege n – und hielt sie davon ab, die Vorhänge zu öffnen.
»Weg da.« Sie blickte finster in sein ausdrucksloses Gesicht. »Oh, verdammt … Cyprien, rufen Sie le Pitbull zurück, okay?«
»Philippe.«
Narbengesicht zog sich zurück, aber nicht ohne ihr vorher einen ausdrücklich warnenden Blick zuzuwerfen. Alex riss den Vorhang zur Seite und blickte hinein.
Es lagen keine Rosen auf dem Bett, nur M. Cyprien. Und er hatte keine faltigen Wangen.
Er hatte gar kein Gesicht. Punkt.
»Gütiger Gott.« Alex beugte sich vor und berührte das gewundene Narbengewebe, das den vorderen Teil seines deformierten Schädels bedeckte. Es war völlig verheilt und bedeckte Stirn, Augen, Nase, Wangen und Kinn. Sein glattes Haar war von oben bis zum Nacken schwarz, aber um sein Gesicht herum weiß geworden. Seine Ohren waren verschwunden und sein Mund war ein unregelmäßiges Loch am unteren Ende seines Gesichts. »Was zur Hölle ist mit Ihnen passiert?«
»Das ist schwer zu erklären.«
»Versuchen Sie es.« Sie ignorierte die entnervende Art, mit der Philippe unruhig neben ihr stand, und begann, Cypriens zerstörtes Fleisch abzutasten, um die deformierten Knochen darunter zu fühlen. Seine Augenhöhlen waren nicht leer, und es gab keine Anzeichen für Hauteinblutungen oder Ödeme. Auch keine Anzeichen für eine Entzündung oder Infektion; seine vernarbte Haut fühlte sich kühl an. Das Einzige, was sie roch, waren Rosen.
»Ich hatte einen unglücklichen Unfall.« Das Loch dehnte sich, als würde Cyprien versuchen zu lächeln. »Sie fürchten sich nicht vor meinem Anblick.«
»So leicht bin ich nicht zu schockieren.« Aber sie war es. Ihre Finger sagten ihr, dass er einen Schlag auf das Gesicht erhalten haben musste, der alle Knochen im vorderen Bereich gebrochen hatte. Doch die Brüche waren alle unterschiedlich, als hätte man ihn mehrmals aus verschiedenen Winkeln gegen einen Metallrost geschleudert. Aber warum hatte er dann keine Hirnschäden? Sie hatte noch nie einen Patienten mit solchen Verletzungen gesehen, den man einfach so hatte heilen lassen. Verglichen mit ihm war Luisa Lopez ein Topmodel. »Mr Cyprien, bin ich der erste Arzt, der Sie untersucht?«
»Nein, es gab noch einen. Er hat mir gesagt, er könne nichts für mich tun.« Sein zerstörtes Gesicht betonte die Schönheit seiner Stimme noch, ein tiefer Bariton, der durch seinen französischen Akzent seidig klang. »Das war, nachdem er sich auf mein Bett übergeben hatte.«
Alex’ stahlhartem Magen ging es gut, aber sie war sich nicht sicher, ob ihre Ohren richtig hörten. »Wollen Sie damit
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