Darling, fesselst du schon mal die Kinder?: Das heimliche Tagebuch der Edna Fry
Jenseits-von-Afrika-Adoptionsagentur in der Post. Niederschmetternde Nachricht. Sie weigern sich, beide Zwillinge zu nehmen; es geht nur Entweder–oder. Sieht ganz so aus, als müssten wir sie behalten – ich könnte es nicht ertragen, sie zu trennen. Manchmal glaube ich, dass ich für diese Welt einfach zu sensibel bin.
22. März, Dienstag
Habe auf einen Kaffee bei Mrs. Winton vorbeigeschaut. Sie glaubt, dass es in ihrer Maisonette vielleicht spukt. Sie sagt, sie hört mitten in der Nacht immer so ein schrilles Greinen, fast wie ein schreiendes Baby. Komisch, mir geht es genauso. Und ich finde einfach nicht raus, woran das liegt …
23. März, Mittwoch
Stephen ist manchmal echt zum Verzweifeln. Jetzt hat er es grade mit dem alten »Alle Kissen auf seine Bettseite packen«-Trick versucht, damit ich nicht merke, dass er inden Pub ist. Hätte vielleicht geklappt, wenn er die Bettdecke drübergelegt hätte.
24. März, Donnerstag
Habe entdeckt, dass die Katze weiß, wie die Kühlschranktür aufgeht. Jetzt müssen wir eine andere Bleibe für sie finden.
25. März, Freitag
Großtante Audacias Beerdigung. Zum Glück keine tieftraurige Angelegenheit, auch wegen der Chrysanthemen und der Tatsache, dass Stephens Kumpel Barry nur eine rosarote Hummer-Limousine übrig hatte. Immerhin passte der Sarg ganz gut zu den Stöckelschuhen der Mädels von der Junggesellinnenabschiedsparty, mit denen wir uns den Wagen teilen mussten und die der Zeremonie definitiv ein bisschen
joie de vivre
verliehen, besonders als sie bei der Grablegung »I will survive« anstimmten.
Hochwürden Timberlakes Predigt war schön und schlicht – nichts Persönliches, was den Gottesdienst unnötig zugemüllt hätte, wie etwa Einzelheiten aus ihrem Leben oder ihr Name. Hinterher begab sich die Gemeinde (die hauptsächlich aus den Pflegeheimkollegen meiner Großtante bestand, denen gesagt worden war, man unternehme einen Tagesausflug an die Küste nach Margate) zu uns nach Hause zumLeichenschmaus, bei dem ich den Trauernden vor dem Tee das folgende selbstverfasste Gedicht vortrug:
Nach reiflicher Überlegung muss ich zugeben, dass es dumm war, Stephen auf die Bowle aufpassen zu lassen, während wir in der Kirche waren; aber alles in allem und abgesehen von den gelegentlichen Bitten um Liegestühle und Stephens Schnarchen ist der Tag ganz passabel gelaufen. Ich wollte die Veranstaltung gerade beschließen, als es an der Tür klingelte. Überrascht sah ich den amerikanischen Arzt aus dem Pflegeheim. Er stand auf der Schwelle, und sein tropfnasses Hemd spannte über der durchtrainierten, muskulösen Brust.
»Hallo«, sagte er.
Er blinzelte. Bächlein rannen ihm über die fein geschnittenen Wangenknochen und tropften ihm von seinem ausgeprägten Kiefer. »Dürfte ich vielleicht um Schutz vor dem Regen bitten?«
»Regnet es?«, fragte ich. »Ist mir gar nicht aufgefallen.«
Ich zeigte ihm das Badezimmer und gab ihm ein Handtuch sowie eins von Stephens nicht ganz so peinlichen T-Shirts. »Doktor Hausmann«, sagte er, als er wieder herauskam, und streckte mir seine große Hand hin. »Doktor Laurie Hausmann.« Er war alles, was Stephen nicht ist – charmant, kultiviert, bei Bewusstsein … Ich griff nach seiner Hand, und es funkte sofort.
»Oh, tut mir leid«, sagte ich. »Das liegt an diesen Nylontüchern.«
Er lächelte. »Hören Sie«, sagte er. »Ich musste Sie einfach sehen.«
»Ja?«, sagte ich, und aus irgendeinem Grund klang meine Stimme höher als sonst.
Und dann klärte er mich über den Grund seinesBesuchs auf. Erstaunt vernahm ich, was er zu sagen hatte. Wie sich herausstellte, war die Frau, mit der ich mich im Pflegeheim unterhalten hatte, gar nicht meine Großtante Audacia – in Wirklichkeit war sie eine pensionierte Schülerlotsin namens Maude Blenkinsopp. Eine Woche zuvor hatte sie sich anscheinend noch für die britannische Heerführerin Boudicca gehalten. Das Pflegeheim hatte es nicht für nötig gehalten, mich aufzuklären, weil die ständig steigenden Bestattungskosten ihr Budget strapazierten, und deshalb waren sie froh, dass Stephen und ich uns ihrer annahmen. Dr. Hausmann hatte gerade erst davon erfahren und es für seine Pflicht gehalten, mir so schnell wie möglich Bescheid zu sagen.
Im Nachhinein sage ich mir, dass ich gleich hätte Lunte riechen sollen, als ich die ganzen Namen an meinem Stammbaum sah – Louis Pasteur, Marilyn Monroe, Sherlock Holmes … Ich seufzte. Mein Leben ergab keinen Sinn
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