Darling, fesselst du schon mal die Kinder?: Das heimliche Tagebuch der Edna Fry
wäre seine Glücksfee. Ich muss schon sagen, auf der Rennbahn zeigt er sich von seiner besten Seite.
Ich sah mir die Listen an und hoffte, etwas würde mir ins Auge stechen. Das war auch der Fall, und ich traf meine Wahl. Stephen flitzte sofort zu seinem Buchmacher und dann zu den Ställen – so wie ich meinengroßen Softie kenne, wollte er unseren Pferden wahrscheinlich noch ein Extrastück Würfelzucker geben. Das erste Rennen fing erst um Viertel nach zwei an, also hatten wir noch Zeit, uns in aller Ruhe umzusehen. Alles war so aufregend. Wir sahen die Siegerkoppel, wo die siegreichen Pferde nach ihren Rennen zur Parade antreten, und die Verliererkoppel neben der Leimfabrik. Dummerweise verpassten wir die ersten beiden Rennen, aber das kratzte Stephen anscheinend nicht. Als wir endlich aus dem Champagner- und Bierzelt taumelten, hatten meine Favoriten Ednas Aberwitz und Couch Potato beide schon gewonnen, also wurden unsere Gewinne automatisch auf meinen Tipp im dritten Rennen gesetzt.
Eine ganze Weile sah es nicht so aus, als ob unser Pferd eine Chance hätte. Es zockelte meilenweit hinter den anderen Pferden her, oder gut 800 Klafter, wie Stephen mir mitteilte. Keine Ahnung, wie viel das sein soll. Wir gaben unseren kleinen Wetteinsatz jedenfalls schon verloren, bis die anderen Pferde im Rennen unerklärlicherweise alle am letzten Hindernis strauchelten, so dass Hugh’s The Daddy völlig unbedrängt durchs Ziel ging.
Das letzte Pferd unserer Akkumulatorwette lief dann in dem großen Rennen – dem eigentlichen Grand National. Also das war wirklich ein außergewöhnliches Rennen. Wer hätte wohl gedacht, dass so viele Pferde kurz vor dem Startschuss Knall auf Fall krank werden, lahmen oder sterben? Unser armes Hottehü tat mir richtig leid, wie es sich da so ganz allein auf den Weg machte, aber Stephen zeigte weniger Anteilnahme. Er hüpfte aufund ab und sang »We’re in the Money«, »Money Makes the World Go Round« und komischerweise auch »Smells Like Teen Spirit«.
Brangelina’s Dream stratzte um die Bahn, überwand irgendwie alle Hindernisse und kam schließlich zum letzten. Danach wäre die Sache in trockenen Tüchern. Uns pochten die Herzen bis zum Hals, als er sich erschöpft darauf zuschleppte. Wir hielten den Atem an, als er hochsprang. Und vorwärts. Und runter. Er hatte es geschafft! Wir jubelten ausgelassen, als er auf die Zielpfosten zutrottete.
Leider legte sich unser Jubel schnell, als sich Brangelina’s Dream plötzlich umdrehte und zwei Meter vor der Ziellinie von der Rennbahn galoppierte. Schweren Herzens schleppten wir uns ins Hotel zurück, wobei Stephen aus irgendeinem Grund das schwerste zu haben schien. Er ging direkt ins Bett, ohne seinen Bacardi ’n’ Kakao auch nur anzurühren.
10. April, Sonntag
Das Frühstück war wieder herrlich, heute Morgen allerdings etwas schwerer zu verdauen, weil wir unter unseren Koffern ächzten und der Portier uns auf den Fersen war. Während wir zum Bahnhof rannten, fluchte Stephen immer noch und gab mir die Schuld, weil ich das falsche Pferd gewählt hätte, aber wie hätte ich denn wissen sollen, wohin das führen würde? Oder dass mein Idiot von Ehemann unsere gesamte Erbschaft auf eine einzige Wette gesetzt hatte?
Und wie hätten wir dann erst wissen sollen, dass wir zu Hause das Pferd in Brangelinas Schlafzimmer finden würden? Es ist mir immer noch schleierhaft, wo sie die Jockeymontur aufgetrieben hat.
Ach, liebes Tagebuch, während ich hier liege und in die Nacht hinausstarre, frage ich mich bloß, womit ich das verdient habe. Wie konnte Stephen mir das antun? Wie konnte er das ganze Geld bloß mit einer einzigen Wette verjubeln, als würde ihm das überhaupt nichts bedeuten? Ehrlich, ich bin so sauer auf ihn, ich könnt’ ihm eine reinhauen. Aber ich glaub’, ich verpass’ ihm einfach einen Tritt.
11. April, Montag
So, das war’s. Es schmerzt, das nach all den Jahren sagen zu müssen, aber ich fürchte, unter diesen Umständen blieb mir keine andere Wahl. Ich habe mit Stephen geredet und dabei kein Blatt vor den Mund genommen. Aber das muss ich ihm lassen, in Anbetracht der Umstände hat er es ganz gut weggesteckt. Natürlich gab es böses Blut, Tränen wurden vergossen und ein paar exklusive, in den Geschäften nicht erhältliche Gedenkteller in limitierter Auflage zerschmissen; aber am Ende ging er.
Anscheinend zeigte die Dame im Arbeitsamt von der Abteilung für unstete Erwerbsbiographien großes Verständnis.
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