Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman
verdächtig war –, hatte das Haus in der Stadt verschlossen und jede Menge Kleidung für einen Aufenthalt auf dem Land sowie, für das Doppelte seines Neuwerts, einen gebrauchten Kombiwagen gekauft. Dann trat sie von allen ihren Ämtern in den militärnahen Organisationen zurück, um sich voll und ganz ihrer Aufgabe als Mutter zu widmen. Ich kam überhaupt nicht dazu, ihr zu sagen, dass ich nicht das geringste Interesse daran hatte, sechs Kinder großzuziehen, da bog Ito den Wagen bereits in die Einfahrt des Hauses, das für die Zeit des Krieges unser Heim werden sollte.
Tante Mame ließ sich nie auf halbe Sachen ein, und ich muss gestehen, dass das Haus, das sie angemietet hatte, mich sehr beeindruckte. Bescheiden nannte es sich Peabody’s Tavern. Doch es handelte sich um ein Haus aus der Zeit vor der Revolution mit ungefähr zwanzig Zimmern. Es strahlte förmlich Atmosphäre aus. Fünf Plaketten neben der Haustür gaben Auskunft über die zahllosen Verträge, die hier geschlossen worden waren, über das erstaunliche Alter und den Erhalt der Bausubstanz und über andere historisch interessante Dinge. Es war umgeben von einem herrlich angelegten Garten, und der Rasen sah aus wie ein riesiger Golfplatz.
Miss Peabody, die uns viermal mitteilte, ihre Familie lebe bereits in der zehnten Generation hier, begrüßte uns am Hausportal. Sie war eine spindeldürre alte Schachtel und ein fürchterlicher Snob. Keine Minute war vergangen, da hatte sie uns bereits eröffnet, sie könne sich einer langen Familiengeschichte rühmen und stamme sogar von den allerersten Pilgervätern ab, die auf der Mayflower nach Amerika gekommen waren. Sie rekapitulierte die wichtigsten historischen Ereignisse, die sich in den vergangenen zwei-, dreihundert Jahren in der Tavern zugetragen hatten, schilderte, wie viele Geschichtsinteressierte jedes Jahr im Frühjahr dorthin pilgerten, und zog ein überbordendes Sammelalbum hervor, angefüllt mit Fotos der Räume, die in Antiques, House and Garden, County Life und anderen Hochglanzmagazinen erschienen waren.
Miss Peabody servierte uns einen sehr leichten und sehr schlechten Lunch auf Lowestoft-Geschirr, führte uns anschließend durchs Haus und machte uns auf die original Revere-Tapete, die original Windsor-Stühle, die original Copley-Portraits dahingeschiedener Peabodys, die original roh gezimmerten Tragebalken und holzgedübelten Dielenböden aufmerksam. Jede Wärmpfanne, jeden Zinnkrug, jeden Wandteppich berührte sie, als wäre es eine Reliquie des Heiligen Kreuzes. Tante Mame, ganz Landadlige, in Tweed und mit Jagdstuhl, unterdrückte mehrmals krampfhaft ein Gähnen und brachte ihre geheuchelte Faszination von dem Haus zum Ausdruck.
Nachdem sie zwei geschlagene Stunden schwer Eindruck bei uns geschunden hatte, übergab uns Miss Peabody eine Inventarliste, die den Wert der Möbel auf knapp einhundertsiebzigtausend Dollar bezifferte, sagte zum vierten Mal, nie im Traum hätte sie daran gedacht, dass sie das Haus einmal vermieten würde, aber bei Tante Mame, einer richtigen Dame, bei dem Krieg und bei den hohen Steuern heutzutage würde sie eine Ausnahme machen. Außerdem knöpfte sie Tante Mame fünfhundert Dollar Miete monatlich ab.
» Ist die Einrichtung nicht ein bisschen zu kostbar für kleine Kinder? « , wollte ich wissen.
Tante Mame warf mir einen finsteren Blick zu, der » Halt die Klappe « besagen sollte. Miss Peabody war jedoch so sehr in die Betrachtung der mundgeblasenen Glaslünette vertieft, dass sie mich gar nicht gehört hatte. » Na gut, Mrs. Burnside « , sagte Miss Peabody und streifte sich ihre Handschuhe über, » ich muss jetzt los. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr es mich freut, zwei echten Connaisseurs wie Ihnen mal die Gelegenheit verschaffen zu können, hier zu wohnen. Wiedersehen! « Sie stieg in ihr Auto und fuhr davon.
Tante Mame entledigte sich des Tweedjacketts, wischte sich über die Stirn, machte uns was Starkes zu trinken und huschte durch die riesigen Räume des Hauses. » Oh Darling, muss man dieses kuriose alte Gemäuer nicht einfach bewundern! Nicht so kurios wie das der Upsons, aber dafür wirklich alt und echt und heimelig. Ich kann es kaum erwarten, in den nächsten Haushaltswarenladen zu gehen und eimerweise Farbe zu kaufen, in himmlisch sanften Tönen, und dieses Haus von oben bis unten zu streichen. Du weißt, wie sehr sich Psychologen heutzutage für die Farbtherapie interessieren. Das wird Balsam sein für die kriegsgebeutelten
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