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Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman

Titel: Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Heimatfront
    I m Herbst des Lebens steht die unvergessliche Jungfer mit ihrem Haus und ihrem Garten und ihrer Katze ziemlich allein da. Der Findling ist erwachsen und hat ein eigenes Heim, und alle sagen, sie habe Unglaubliches geleistet. Sie hat ihre Freunde und ihre Hobbys, sie tätigt ihre kleinen Geschäfte, und man sollte meinen, die alte Dame könnte zufrieden sein. Aber nein. Ihr fehlt das Getrappel von Kinderfüßen auf dem Parkett. Und was macht die Gute? Sie holt sich zwei Findelkinder ins Haus und fängt wieder ganz von vorne an.
    Diese neuerliche Wendung in ihrem Leben soll den Leser offenbar mächtig beeindrucken. Mich überwältigt sie keineswegs. Auf so niedriges Niveau hätte sich Tante Mame niemals begeben. Sie nahm gleich ein halbes Dutzend Kinder auf und hatte fortan in der Tat etwas zu erzählen.
    Nachdem Gloria mir den Verlobungsring zurückgegeben hatte, war mein Herz gebrochen– jedenfalls offiziell, denn heute habe ich meine Zweifel, dass es überhaupt auch nur einen Riss abbekommen hatte. Wenn man jedoch einen so drastischen Schritt unternimmt, eine Verlobung zu lösen, dann muss man, um des Ausgleichs willen, gleich etwas anderes machen, was ähnlich Drastisches. Ich zog in den Krieg. Europa steckte bereits mittendrin, und es schien nur noch eine Frage von Minuten, bis auch Amerika eintrat. An dem Tag, als ich den Ring zurück an Cartier schickte, meldete ich mich freiwillig beim American Field Service. Zwei Wochen später bestieg ich ein Schiff nach Nordafrika, während Tante Mame weinend zu Hause am Washington Square blieb.
    Es schockiert sicher viele Menschen, wenn man sagt, man sei gern im Krieg gewesen. Mir jedenfalls hat es gefallen. Das Leben im Field Service bestand zu gleichen Teilen aus Langeweile und Aufregung. Ich sah viel Neues, lernte neue Orte und neue Menschen kennen. Wir brauchten nicht strammzustehen oder zu salutieren, und wirklich Angst habe ich auch nie gehabt. Wenn man arbeitete, arbeitete man hart, betrank sich und aß Schiffszwieback und Pökelfleisch. Wenn man spielte, spielte man mit harten Bandagen, ließ sich im Shepherd’s Hotel nieder und flirtete im Klubhaus der Pferderennbahn mit Queen Farida.
    Tante Mame schrieb fast täglich. Zuerst waren ihre Briefe lange Klagelieder darüber, wie einsam und nutzlos sie sich vorkam. Sie stimmten mich traurig, und ich fühlte mich ein bisschen schuldig. Im Dezember dann wurde Pearl Harbor angegriffen, und ihre Schreiben nahmen einen anderen Tonfall an. In aller Ausführlichkeit beschrieb sie ihre vielfältigen Aktivitäten, und ich entdeckte das Feuer einer neuen Leidenschaft in ihr – tatsächlich, Tante Mame wurde kriegslüsterner als Alexander der Große.
    » Ich habe mehr Anleihen an den Mann gebracht als alle anderen, die bisher im El-Morocco-Hotel verkauft haben! « , schrieb sie. » Nächste Woche soll ich das Iridium-Room-Hotel übernehmen, eine Herausforderung. Die zahlungskräftigen Kunden sind geizige Anleihenzeichner, aber ich erpresse sie mit einem Appell an ihren Patriotismus. « Oder: » Gestern Abend, bei der Verdunklung, bin ich zum ersten Mal Streife gelaufen am Washington Square. Stell dir vor, mein Lieber, wenn alle Lichter aus sind, sieht man doch tatsächlich Sterne über New York! « Oder: » Gerade habe ich den Rekord im Verbandanlegen gebrochen, da kann ich den Job auch getrost drangeben. Es gibt Wichtigeres zu tun. Die freiwillige Frauen-Hilfsorganisation will nämlich, dass ich die Leitung eines neuen Komitees übernehme. « Oder: » Ich bin gekränkt und mutlos, ich könnte heulen. Der Frauen-Armeekorps hat mich ausgemustert! Die Sergeantin in dem Rekrutierungsbüro meinte, ich sei zu alt! Ich bring niemanden gern an den Galgen, die stramme Lesbe war gerade mal achtzehn. «
    Sie hatte mehr Uniformen als ein Viersternegeneral, ihr Haus war ein inoffizielles Büro zur Betreuung der Angehörigen der Streitkräfte, und in jedem Amazonen-Komitee von New York nahm sie einen hohen Rang ein. Dennoch fand sie Zeit, alles Mögliche für mich einzukaufen. Ob in Afrika oder Italien, überallhin wurden mir Delikatessen nachgeschickt: Plätzchen, Kaviar, Pralinen, Pasteten, Dosen mit Hühnerfleisch und Hummer, Krabben- und Schildkrötenfleisch. Und wie um zu beweisen, dass Tante Mame es mit ihrem Realitätssinn nicht übertreiben wollte, enthielt ein Päckchen mit in Spezialgläsern eingemachten Erdbeeren die Verzehranleitung: » In Champagner und hauchdünnen Limonenscheiben marinieren und im Kühlschrank

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