Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman
eingeprägt hat sich mir von diesem Tag nur, dass mir unbehaglich zumute war. Was an Brians Fischgrätenmuster-Tweed lag und an der Tatsache, dass er sich buchstäblich die Lippen leckte, als er unweit der Seventieth Street einem Kinderwagen schiebenden hübschen Kindermädchen über den Weg lief. Ein anderes Mal entschied Tante Mame, Brian und ich sollten unserer beiderseitigen Gesellschaft inmitten der mittelalterlichen Pracht der Cloisters frönen. Es wurde ein trostloser Nachmittag. Meine Füße taten weh, in den Cloisters roch es wie im Umkleideraum der St. Boniface Academy, und Brian, statt die von unbekannten italienischen Nonnen fein ausgemalten Jungfrauen zu bestaunen, lief geifernd hinter zwei ziemlich grell aufgedonnerten Jungfrauen vom Hunter College her, die sich ihm– mit lockendem Gegickser– zwischen den Steinsärgen aus dem zwölften Jahrhundert entzogen. Ich bekam eine Ahnung von Brians außergewöhnlicher Anziehungskraft, aber so, wie Frauen nie verstehen, was die Männer in den Begehrteren unter ihren Schwestern sehen, vermochte auch ich nicht zu erklären, was Brian anzubieten hatte. Nicht nur, dass er keine siebzig Kilo wog, er war außerdem ein Lüstling, ein Betrüger, ein Lügner und, was noch schlimmer ist, ein unendlicher Langweiler.
Die restlichen Ferientage verbrachte ich in der gleichermaßen uninspirierenden Gesellschaft von Miss Agnes Gooch, die dreimal am Tag sagte: » Gottchen, ein Wahnsinn, wie schnell so ein Jahr vergeht. Es kommt mir vor, als hätten Muttilein und Edna und ich erst gestern unsere Weihnachtsgeschenke ausgepackt– wir heben die Bänder immer fürs nächste Jahr auf und bügeln sie–, und jetzt ist es schon wieder so weit! «
Weihnachten war recht lustig, und Tante Mame gab sich ganz irisch, genauer gesagt nordirisch, und sie übertraf sich selbst. In jedem Kamin brannten Weihnachtsscheite, bis es so warm war, dass wir alle Fenster aufreißen mussten. Brian schlich herein, ganz in Glenurquhart-Plaid, und Agnes, nach einem herrlichen Weihnachtsmorgen mit Muttilein und Edna, fuhr mit der U-Bahn aus Kew Gardens her. Sie strahlte in einem Kleid, das sie selbst genäht hatte, aus ausgesucht unansehnlicher senffarbener Wolle, mit einer Perlenstickerei über der Brust, und für jeden brachte sie selbst gebastelte Geschenke mit. Mir überreichte sie einen gestrickten Schal in den Farben der St. Boniface Academy, und Tante Mame bekam ein Nachtjäckchen aus Angora. Für Brian hatte sie Pantoffeln mit Kleeblättern und seinen Initialen bestickt, und Brian belohnte sie mit einem so umwerfenden Lächeln, dass sie weich wurde in den Knien.
Tante Mame gab Agnes einen Kuss, einen schlichten weißen Briefumschlag und eine Bahn hellgrünes Homespun, was angesichts der Handarbeiten, die Agnes produziert hatte, ein schrecklicher Fehler war.
Tante Mame gab Brian einen Kuss, einen schlichten weißen Umschlag– dicker als der für Agnes– und einen schnittigen Bentley-Zweisitzer, der keck draußen am Straßenrand lungerte. Brian verschlug es die Sprache, selbst sein Lächeln erstarb.
Mir gab sie einen Kuss, einen schlichten weißen Umschlag, zwei Tweedjacketts, die »tweedier« nicht sein konnten, ein Paar robuste Straßenschuhe, die so schwer waren, dass ich sie kaum heben konnte, eine Tattersall-Weste und eine Schachtel mit sieben Pfeifen, die mit » Sonntag « , » Montag « , » Dienstag « , » Mittwoch « , » Donnerstag « , » Freitag « und » Samstag « gekennzeichnet waren– kurzum: alles, was ich brauchte, den Bentley ausgenommen, um als Brian O’Bannion junior durchzugehen.
Brian schenkte uns dreien je eine signierte Ausgabe der Verwundeten Tulpe. Danach gab es ein schwer verdauliches Abendessen, und Tante Mame meinte, sie fände es wunderbar, wenn ich Agnes in die Radio City Hall ausführen würde, wo wir einen rasend spannenden Film sehen und uns außerdem die ganz, ganz herrliche Weihnachtskrippe anschauen könnten.
Obwohl ich Agnes um einiges lieber mochte als Brian, fand ich ihre an sich gesunde Geschwätzigkeit ebenso ermüdend wie seine ungesunde Schweigsamkeit. Dennoch, sie meinte es gut, was man von ihm nicht unbedingt behaupten konnte. Die ganze Taxifahrt über plapperte Agnes über Gottchen, was Brian doch für ein lieber, süßer Mann sei, und wie gerne sie ihn mal mit zu sich nach Hause zu Muttilein und Edna nehmen würde, damit er mal etwas zwischen die Rippen bekäme; und Gottchen, was für ein wunderschönes Weihnachtsfest es gewesen sei, und ob
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