Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman

das große alte Auto parkte vor dem Old Coolidge House. Die Fenster in Tante Mames Zimmer standen offen, und ich hörte die etwas modernere Musik von Paul Hindemith auf ihrem Reisegrammophon spielen.
    » Ohne Passierschein darf ich das Hotel nicht betreten, Mr. Pugh « , sagte ich verzweifelt. » Meine Tante hat die Zimmer 3 -A-B-C und D. Ich klettere das Seil hoch und… «
    » Unsinn, Patrick. In Begleitung eines Lehrers dürfen Sie überallhin. Kommen Sie. «
    Als wir in das oberste Stockwerk gelangten, hatte sich Tante Mame Hindemiths Symphonische Metamorphosen leid gehört und spielte jetzt Bessie Smith’ » Bed Empty Blues « . Behutsam klopfte ich an die Tür. » Ja! « , rief sie. Ich machte die Tür auf und trat ein.
    » Darling… « , rief sie. Dann sah sie Mr. Pugh, und die Worte blieben ihr im Hals stecken.
    Man kann nicht sagen, dass Tante Mame darauf vorbereitet war, die Rolle meines Vormunds zu spielen. Sie trug Shorts und ein Trägerhemdchen, und sie hatte Unmengen von Lydia van Rensselears Essence of Youth aufgetragen. Das Haar war mit einem roten Gummiband zusammengebunden, und sie lag auf dem Boden und vollführte etwas, das obszön anmutete, in Wahrheit jedoch nur eine Übung zur Kräftigung der Gesäßmuskeln und der Schenkel war. Neben ihr stand eine halb leere Flasche Champagner, und im Zimmer verstreut lagen französische Schundromane, diverse Modezeitschriften und sechs Bände Gibbon. Im Augenblick jedoch war mir eine » flotte « Tante immer noch lieber als gar keine.
    » Tante Mame « , sagte ich, » das ist… «
    » Sie wagen es, mein Zimmer zu betreten? « , sagte Tante Mame kühl und sah glatt durch mich hindurch. » Ich muss Sie bitten, das Zimmer auf der Stelle zu verlassen, andernfalls sehe ich mich genötigt, die Geschäftsleitung zu verständigen. «
    Jetzt meldete sich Mr. Pugh zu Wort. » Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, Madam, dass dieser junge Mann hier, äh, nicht Ihr Neffe ist? «
    » Ich habe ihn noch nie in meinem Leben gesehen « , sagte sie.
    » Tante Mame « , beschwörte ich sie, » du musst Mr. Pugh die Geschichte mit Agnes erklären. Sonst fliege ich von der Schule. Er weiß Bescheid. Er… «
    » Bitte, junger Mann, gehen Sie. Sofort. Sie leiden offenbar unter der Einbildung, dass wir uns kennen. Au contraire. Ich bin eine alleinstehende Witwe, und ich wohne hier mit meiner Schwägerin und einem Kammerdiener. « Hatte Tante Mame sich erst einmal in eine Rolle vertieft, dann kostete sie sie voll aus.
    » Mr. Pugh « , sagte ich, » das ist meine Tante Mame. Sie heißt Mrs. Beauregard Burnside. Wirklich, glauben Sie mir. «
    » Der arme Junge braucht dringend psychologische Hilfe « , sagte Tante Mame, stand vom Boden auf und gebot so viel Würde wie unter den besonderen Umständen möglich. » Ich bin Mrs. Dennis Burns, und mein Vorname ist Arabella… «
    In diesem Moment platzte Agnes, die an der Tür gelauscht hatte, tränenüberströmt ins Zimmer. » Es stimmt, Mrs. Burnside. Patrick ist aufgeflogen. Jetzt weiß alle Welt, dass ich eine Schlampe bin. «
    Es blieb Tante Mame nichts anderes übrig, als aufzugeben. Sie bat Mr. Pugh, Platz zu nehmen, goss ihm ein Glas Champagner ein und zog sich kurz zurück, um sich in ein sittsames schwarzes Gewand zu hüllen. Innerhalb einer Stunde hatte Tante Mame ihm die ganze Geschichte, mit nur wenigen Ausschmückungen versehen, erzählt, während Agnes fortwährend in ein zerknülltes Taschentuch schluchzte und über ihr Versagen jammerte.
    Gegen seinen Willen und wider bessere Einsicht wurde der gute alte Pugh in die Verschwörung mit hineingezogen, nur damit ich, sollte ich entdeckt werden, keinen Ärger bekam. Er gewöhnte sich an, jeden Abend nach der Schlafzimmerkontrolle in mein Zimmer zu schleichen und mit mir aus dem Fenster zu entwischen, während Junior schnarchte. Dann begleitete er Agnes und mich auf unserem Spaziergang, kam mit zurück ins Hotel, trank ein Glas, höchstens zwei, und spielte ein paar Robber Bridge. Danach kehrten wir heimlich zurück zur Schule. Als Lehrer durfte er sich abends auch nicht außer Haus aufhalten, aber eigentlich wurde es sogar ganz lustig mit Mr. Pugh als Begleiter. Agnes, bei der Dichter offenbar tatsächlich ein leichtes Spiel hatten, trug er Gedichte vor und heiterte sie ein wenig auf, indem er ihr sagte, Leonardo da Vinci, Alexander Hamilton und Lucrezia Borgia und viele andere berühmte Leute seien auch unehelich geboren.
    Mangel an Schlaf und Lerneifer führten dazu,