Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman
dass meine schulischen Leistungen anfingen zu leiden, und eines Abends bestand Mr. Pugh darauf, Agnes alleine auszuführen. Er hielt mich an, in Tante Mames Salon zu bleiben und für eine Klassenarbeit in Geschichte zu pauken. Ich kam nicht sehr weit mit meiner Arbeit. Nachmittags hatte mich Tante Mame nach Boston geschickt, um neue Bartók-Platten zu kaufen, und sie musste sie unbedingt bei voller Lautstärke hören.
» Ach, mein lieber Kleiner « , sagte sie und goss sich etwas zu trinken ein, » ein beschaulicher Abend daheim, à deux – die Gelegenheit, mal ein bisschen zu plaudern und den wirklich hinreißenden Meistern der Moderne zu lauschen. Natürlich ist Musiktherapie wichtig für die werdende Mutter, schon wegen des starken pränatalen Einflusses, aber Glasunow und Meyerbeer, so hübschihre Musik ist, habe ich schon ein bisschen satt. «
» Ja, Tante Mame « , sagte ich, gähnte und beschäftigte mich wieder mit Premierminister Disraeli und Queen Victoria.
» Apropos hübsch, Darling, ist dir aufgefallen, wie nett sich Agnes heute Abend zurechtgemacht hat? «
» Hm « , sagte ich. Das war mir nicht aufgefallen, bemerkt hatte ich nur, dass sie statt ihrer üblichen Reuige-Sünderin-Kluft ein einfaches dunkelblaues Umstandskleid angezogen hatte. Außerdem hatte sie sich nicht so zugekleistert wie sonst. Ich widmete mich wieder Disraeli.
» Ich habe Agnes heute Abend auch geschminkt « , zwitscherte Tante Mame, drehte den Plattenspieler auf und fuhr mit der Hand durch mein Haar. » ›Agnes‹, habe ich zu ihr gesagt, ›Kosmetik soll verschönern, nicht verschlimmern.‹ Möchtest du zur Abwechslung mal Bloch hören, mein Lieber? «
» Nein danke. « Disraeli, Queen Victoria, Gladstone und Beaconsfield, alle schwammen zusammen mit Napoleon, Wellington und Antonius und Kleopatra durcheinander im Suezkanal.
» Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, unsere Agnes mag Mr. Pugh sehr gern, und Mr. Pugh mag Agnes sehr gern. «
» Hm-hm « , sagte ich und versuchte vergeblich, mich zu konzentrieren.
Die Unterhaltung fand ihr Ende, als wir Agnes die Treppe hinaufpoltern hörten. Sie lachte– zum ersten Mal, seit sie in Apathy weilte. » Oh Mr. Pugh « , sagte sie, » noch nie hat jemand Grays Allergie so schön aufgesagt, dass man es richtig versteht. «
Die St. Boniface Academy war eine ziemlich alte Schule, für amerikanische Verhältnisse, und man gab viel auf Tradition. Gerne und häufig verwendete man britische, lateinische oder einfach nur altertümliche Ausdrücke, zum Beispiel alte Herren für Ehemalige, Füchse für neue Schüler, Prokurator für Aufsichtführender, Studentenzimmer, Spielplatz statt Sportplatz, Master, Refektorium, Greensward für Rasen und Gemeinschaftsraum statt Aufenthaltsraum. Es gab auch althergebrachte Riten, wie zum Beispiel die Kissenschlacht der neunten Klasse, Unterweisung der Füchse, Beichtgericht, Tag des Tadels – die allesamt fälschlich als festliche Ereignisse bezeichnet wurden, in Wahrheit aber nur Dr. Cheeveys beträchtlichen Sadismus kaschierten. Einer der unangenehmsten dieser Festtage schimpfte sich Vater-und-Sohn-Tag, eine noch junge Tradition, der Anfang Mai begangen wurde. Er bot solchen Vätern, die alte Herren waren, die Gelegenheit, ihre St.-Boniface-Blazer über ihre Dickbäuche zu spannen und sich gönnerhaft gegenüber den Vätern aufzuführen, die nicht auf St. Boniface gewesen waren und folglich besser gekleidet und gebildeter waren, wenn auch déclassé. Eine urkomische Veranstaltung, dieser Vater-und-Sohn-Tag! Man errichtete einen Maibaum, es gab Turnvorführungen, Staffelläufe, Moriskentänze, aufgeführt von sechs bedauernswerten Knaben aus den unteren Klassen, und die Väter, die auch alte Herren waren, sangen ein Medley aus St.-B.-Songs, während die Väter, die keine alten Herren waren, dumm herumstanden und aussahen, als würden sie alles geben für einen Drink.
Am Vater-und-Sohn-Tag war ich immer dankbar, dass ich Waise bin, aber man stelle sich vor– es wollte mir nie einer glauben. Die wenigsten Jungen in meiner Klasse hatten Eltern, die während der ganzen Zeit verheiratet blieben. Einer brachte es sogar auf fünf verschiedene Väter, auf der Abschlussfeier würde er seinen sechsten kennen lernen. Ich jedoch war der Einzige, der überhaupt keinen Vater hatte. Allerdings gab es da immer noch Mr. Babcock, der im Hinblick darauf, dass mein Vermögen in der Trust Company blieb, mich am Vater-und-Sohn-Tag mit Junior unter seine Fittiche
Weitere Kostenlose Bücher