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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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aus seinem Rücken ragen würde. Aber in der Zwischenzeit musste er glauben, dass ihm von dem unterwürfigen kleinen Grufti-Mädchen keinerlei Gefahr drohte.
    Als ich zehn Minuten später mit meinen Tüten aus dem Geschäft kam, war er verschwunden. Die beiden Mädchen, denen er geholfen hatte, saßen rauchend in einem alten Renault und lachten über etwas, das ich nicht hören konnte. Auf der Straße roch es nach Bier und dem Diesel der Trawler, und der Geruch erinnerte mich an meinen Vater. Früher hatte er uns genau hier immer eine Waffel mit Erdbeer- und Vanilleeis gekauft, während er langsam und genüsslich ein Pint trank. Heute machte der Crepe-Wagen ein Riesengeschäft, und kleine Jungs buhlten dicht gedrängt um die Aufmerksamkeit des Verkäufers. Für alle anderen Passanten war es der ideale Tag für einen Spaziergang zum Marktplatz.
    Aber für mich hätte es auch tiefster Winter sein können, denn als ich den Hügel hinaufradelte, spürte ich in meiner Brust nur Kälte. Aoife verweigerte immer noch alle Nahrung außer Karotten.
    Ich hatte versucht, sie mit Lachs, Brot, Kartoffeln und Gemüse aller Art zu füttern, aber vergeblich. Nicht einmal die dunkle Schokolade, die sie mir sonst immer aus dem Kühlschrank klaut, rührte sie an. Meine Zwillingsschwester lag seit Tagen in ihrem Bett und kaute auf geschälten Karotten herum wie ein Häschen. Ich war so naiv gewesen anzunehmen, dass sie von der gleichen mörderischen Energie erfüllt sein musste wie ich, und hatte erwartet, dass sie alle paar Minuten Zielschießen mit der alten Schrotflinte meines Vaters üben würde. Aber jedes Mal, wenn Fiona oder ich sie baten, zur Polizei zu gehen oder wenigstens einen Arzt zu rufen, schüttelte Aoife nur stumm den Kopf. Stattdessen ging sie ein paar Mal barfuß nach draußen, stellte sich auf die Mitte der Lichtung hinter ihrem Haus und überließ sich dem Wind, der durch die Bäume blies und ihr Kleid um ihre Beine flattern ließ. Aoife blieb stundenlang dort stehen, nickte uns zu, wenn sie zurückkam, legte sich wieder ins Bett und knabberte an ihrer nächsten Portion Hasenfutter.
    Abends und nachts hielten Fiona und ich abwechselnd vor dem Haus Wache.
    So viel war ich schon lange nicht mehr an der frischen Luft gewesen, und es dauerte ein paar Tage, bis mir nicht mehr dauernd schwindlig war. Ich blickte auf unsere Stadt hinab und versuchte, mich an die Zeit zu erinnern, als noch nicht alle in den Bann des seanchai geraten waren und ihren gesunden Menschenverstand wenigstens hin und wieder benutzten. Die Touristensaison hatte begonnen, und das Grölen junger Männer, die nach ihrem letzten Pint durch die Straßen torkelten, hörte sich oben auf dem Hügel an wie das Gezanke von Krähen um einen Leckerbissen.
    Fiona holte ihre Bücher und machte es sich auf der Couch gemütlich. Ich holte meinen Transceiver.
    An einem besonders schönen Abend, als die Sterne über den Slieve-Miskish-Bergen so hell glänzten wie Murmeln im Schein einer Taschenlampe, schaltete ich ihn zum ersten Mal ein. Fiona war bereits auf der Couch eingeschlafen, ein Bildband über Amenhotep lag wie ein Zelt auf ihrer Brust. Die Geräusche, die aus Aoifes Schlafzimmer drangen, verrieten mir, dass sie sich die dämliche Fernsehsendung ansah, in der die miesesten Tänzer des Landes gesucht werden oder so.
    Ich griff nach dem größten Drehknopf und begann meine Suche nach einer neuen Stimme. Evi war bei ihren Eltern in ihrem russischen Sommerhaus und würde frühestens in einem Monat zurückkommen. Ich verabscheute diesen Ort namens Sotschi, aus dem sie mir gelegentlich SMS schickte, weil ich sie nicht dorthin begleiten durfte. Ich war einsam und wütend und musste zur Abwechslung mal mit jemand anderem als meinen Schwester zu reden. Und an diesem Abend fand ich so schnell Stimmen auf dem Band, als hätte ich ein Netz im Äther aufgespannt, in dem sich alle verfingen.
    Ich hörte Fischer auf der irischen See, die im offenen Meer nach Lachs und auf dem Festland nach leichten Mädchen suchten. Ich grüßte sie, drehte weiter und ließ sie in der schäumenden zischenden elektronischen Heckwelle meines unsichtbaren Schiffes zurück. Als Nächstes hörte ich eine alt und verbittert klingende Stimme über Politik reden. Sie gehörte einer Frau, die sich den Namen »Gewissen der Gesellschaft« gegeben hatte und ihre Hörer dazu aufforderte, öffentliches Eigentum zum Wohl des Landes abzuschaffen. Sie verschwand genauso schnell wie die Jungs auf dem

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