Darling
Sissi überlegte kurz. Dann nickte sie.
„Ja. Aber er hat wegen Magen-Darm-Problemen früher Schluss gemacht. Muss so um neun gewesen sein, als er sich aus dem Taxi von Adrian Baumann abgemeldet hat.“
„Adrian Baumann?“
„Ja, einer meiner jüngeren Fahrer. Ein ausgesprochen hübscher und zuvorkommender Kerl. So um die dreißig. Der fährt schon seit vier Jahren für den Taxifunk. Ist nach dem Abschluss seines Studiums bei uns geblieben. Keine Ahnung, warum er sich keinen anderen Job gesucht hat. Na ja, mir war es recht. Zuverlässige Fahrer wie ihn kann ich immer gut gebrauchen. Weibliche Fahrgäste stehen auf gepflegte Typen wie ihn“, fügte Sissi mit einem Augenzwinkern hinzu.
In dem Moment kam Gerold Hahn mit zwei Beamten von der Spurensicherung die Treppe herunter.
„Irgendetwas Auffälliges gefunden?“, fragte Edith.
Gerold schüttelte verneinend den Kopf. „Nichts. Offensichtlich kein Raubmord. Kein Schrank durchwühlt. Außer ein paar Windeln, etwas Wäsche und ein paar Hemden und Socken gibt es da oben aber auch nichts zu holen“, stellte der Chef der Spurensicherung müde gähnend fest.
Edith stutzte.
„Windeln?“
„Ja“, nickte der Beamte. „So ’ne Erwachsenenpackung für Inkontinenz. Die ist sicher noch von seiner Mutter, die der Ermordete laut Aussage der Nachbarin hier im Haus bis zu ihrem Tod gepflegt haben soll.“
Edith zeigte auf den Autoschlüssel neben dem Telefon.
„Gut. Kuckt doch bitte, ob der Wagenschlüssel hier brauchbare Fingerabdrücke hergibt. Und dann untersucht das Taxi.“
Die Männer nickten. Als sie in ihren weißen Schutzanzügen auf die Straße traten, waren sie sofort von einem Tross an Reportern und Fotografen umringt.
Edith fiel beim Blick aus dem Fenster auf, dass überall in der Nachbarschaft die Gardinen wackelten oder gar ganz weggezogen waren. Als sie auf ihre Armbanduhr schaute, war es bereits halb zehn.
„Sissi, ich brauche die Adresse und Telefonnummer von Adrian Baumann. Er ist anscheinend der Letzte, der Karl Blum lebend gesehen hat – vor seinem Mörder.“
35
Adrian klopfte das Herz bis zum Hals, als er wie verabredet um zehn Uhr abends bei Clara Sander klingelte. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis der Türöffner leise summte. Die frisch gewaschene Bluejeans und das schwarze, eng taillierte Hemd von Enzo saßen äußerst knapp. So sexy kreuzte er beim ersten Date normalerweise nie auf. Aber da seine Sachen in Annikas Wohnung lagen, hatte er keine große Wahl gehabt.
Als Clara die Wohnungstür öffnete, stockte Adrian für einen Moment der Atem. Sein Blick musterte sie von oben bis unten. Das schwarze Kleid mit der dunklen Strickjacke saß wie angegossen. Mit ihren schwarzen Lederstiefeln war sie nahezu auf Augenhöhe mit ihm. Ihr Gesicht war perfekt geschminkt. Und wieder waren es ihre graublauen Augen, die stark mit den dunklen, hochgesteckten Haaren kontrastierten. Um den Hals trug sie das Amulett mit dem Engelsflügel.
„Hallo“, murmelte Adrian und folgte Clara wortlos ins Wohnzimmer.
„Bier? Rotwein?“, fragte sie aufmerksam lächelnd. Adrian winkte ab.
„Ich muss Auto fahren, sorry“, lächelte er.
„Cola?“
Adrian nickte, und Clara ging aus dem Zimmer. Sekunden später hörte er in der Küche Eiswürfel klimpern. Als sie ihm das Glas reichte, berührte sie flüchtig seine Hand. Sein Puls fing an zu rasen. Vor ihm lag eine breite, von der Decke bis zum Boden reichende Fensterfront, die auf einen beleuchteten Balkon führte und eine fantastische Aussicht bot.
Jetzt stand er zum zweiten Mal in der Wohnung der Frau, die ihn zutiefst verwirrte.
Clara musterte ihn schweigend von oben bis unten.
„Worüber wollen Sie mit mir reden?“, fragte er.
„Über alles, was Sie interessiert“, antwortete Clara und lächelte ihn aufmunternd an.
Adrian stockte der Atem. Ihre tiefe erotische Stimme berührte ihn.
„Erzählen Sie mir etwas über die Darling-Produktion“, schlug er spontan vor.
Clara lachte amüsiert.
„Die Darling-Produktion ist aus meinem Escort-Service für den 49er Club hervorgegangen. Da erfolgreiche Geschäftsleute aber eher selten auf ... ähm reife Frauen stehen, wenn sie abends in der Sansibar, im Kingka oder in der Jimmy’s-Bar Gesellschaft suchen, musste ich mir ein neues … nennen Sie es einfach Geschäftsfeld … erschließen.“
Emotionslos beschrieb Clara ihren Job. Es klang so kühl und professionell wie der Quartalsbericht der Deutschen Bank.
„Alexander Paul war
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