Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Darling

Darling

Titel: Darling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Hartmann
Vom Netzwerk:
hängender Lampen etwa dreißig bis vierzig Holzskulpturen auf. Sie wirkten schemenhaft, wie verhuschte Figuren im Nebel. Scherenschnittartig spiegelten sich ihre Schatten an den altrosa getünchten Wänden wider.
    Adrian stand andächtig neben Clara, die einen Schritt zurück gemacht hatte, um das Ensemble auf sich wirken zu lassen.
    „Die Lebenszeichen sind aus dem Holz der Thuja, die auch als Lebensbäume bekannt sind“, flüsterte sie und strich andächtig mit der linken Hand über die vorderste Holzskulptur. „Sie kehrt das Unterste nach oben. Sehen Sie hier, die Wurzel ragt in den Himmel, die Astgabelung steht dagegen auf der Erde.“ Auf Adrian wirkten die überlebensgroßen Kopffüßler auf vier, manchmal fünf Beinen ausgesprochen befremdend. So fühlt man sich also, wenn man in Mittelerde plötzlich mit Orks konfrontiert ist.
    In dem Moment öffnete sich die schwere Holztür, und zwei Frauen durchquerten leise flüsternd den Raum Richtung Krematorium. Die Kerzen neben dem Haupteingang flackerten im Luftzug und reflektierten die Lebenszeichen als zuckende Schatten an den Wänden.
    Wie eine im Wind wogende Gruppe in dunklen Gewändern auf dem Weg zur Beerdigung, dachte Adrian.
    „Diese Bäume dienen übrigens auch als Grabbepflanzung.“ Clara fotografierte einige der Skulpturen. „Sie sehen hier die perfekte Metamorphose – vom toten Baum zum Lebenszeichen.“
    Mit einer weit ausladenden Geste erläuterte sie Adrian ihre Gedankenwelt.
    „Und welche Metamorphosen warten jetzt in der Pathologie auf Karl und Patricia?“, unterbrach Adrian Clara völlig unvermittelt. Die Frau zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen.
    „Finden Sie das jetzt nicht etwas unpassend?“, zischte sie ihn mit wütendem Blick an.
    „Ach ja“, erwiderte Adrian gereizt. „Sie wollten mir sagen, wer Karl getötet hat. Stattdessen schleppen Sie mich in die Totenhalle auf den Frankfurter Hauptfriedhof. Suchen wir jetzt hier die Grabbepflanzung für die beiden aus?“
    Clara musterte ihn voller Verachtung.
    „Sie haben einfach keinen Blick für Kultur“, fauchte sie ihn an.
    Dann verließ sie hoch erhobenen Hauptes die Pflanzenhalle. Adrian trottete ungläubig hinter ihr her. Als er ins Freie trat, zündete er sich umgehend eine Marlboro an. Während er tief inhalierte, musterte er Clara ausgesprochen nachdenklich.
    „Sie rauchen zu viel“, stellte sie nüchtern fest.
    Adrian zuckte mit den Schultern. „Wie ich mich zugrunde richte, geht Sie einen feuchten Kehricht an.“
    Dann drehte er sich zur Halle um, und eine große Traurigkeit umfing ihn. Karl würde nicht mehr wiederkommen. Nie mehr. Vorbei. Und irgendwie war diese Frau daran schuld. Und nicht nur sie, auch er. Wenn er Montagnacht das verdammte Taxi nicht getauscht hätte, wäre diese wahnsinnige Verwechslung sicher nicht passiert. Und Karl würde vermutlich noch leben. Aber was wäre aus ihm geworden? Adrian dachte an die Lebenszeichen in der Halle über dem Frankfurter Krematorium. Die waren zumindest ihrem Schicksal in ein zweites Leben entkommen.
    „Was wollten Sie hier wirklich?“, fragte er Clara, die neben ihn getreten war.
    „Ich wollte mir die Lebenszeichen für einen neuen Film ansehen. Was haben Sie gedacht, was wir hier machen? Dass ich zum Vergnügen zum Hauptfriedhof fahre? Die Suche nach neuen Ideen, nach neuen Orten und neuen Menschen inspiriert mich. Sich so treiben zu lassen ist eine unstillbare Sehnsucht.“
    Adrian schluckte, dann drehte er sich frontal zu Clara um.
    „Sie widern mich an“, brach es fassungslos aus ihm heraus.
    „Eine Trauerhalle ist eine Trauerhalle, keine Event-Location.“ Zornig trat er die Zigarette aus.
    „Ich habe Ihnen schon gestern erklärt, dass ich nicht in Ihren bürgerlichen Kategorien denke oder handele.“ Mit einem sphinxhaften Lächeln schaute sie ihn aufmerksam an. „Sie würden sich wundern, wenn Sie wüssten, wo wir in dieser Stadt schon überall gedreht haben. Frankfurt ist perfekt. Man muss die Welt nur mit anderen Augen sehen.“
    Adrian fröstelte. Als er in Claras graublaue Augen schaute, spürte er eine berechnende Kälte.
    „Befrei dich aus dem Bann dieser Frau“, hämmerte es in seinem Kopf. Als er gerade darüber nachdachte, wie er das anstellen sollte, trat Clara neben ihn und streichelte ihn zärtlich über den Nacken. Dann stellte sie sich auf Zehenspitzen und flüsterte ihm ins Ohr.
    „Lassen Sie uns nach Hause fahren. Dann besprechen wir alles Weitere.“
    Adrian nickte. Die

Weitere Kostenlose Bücher