Darling
Berührung und der Klang der Stimme hatten erneut jeden Widerstand in ihm gebrochen.
45
Edith Tannhäuser sah ihren Kollegen ungläubig an.
„Wie, der Staatsanwalt lehnt die Telefonüberwachung ab?“ Stefan zuckte mit den Achseln.
„Nur weil er eine Kette mit einem Engelsflügel trägt, ist das kein hinreichender Verdachtsmoment, dass er etwas mit dem Mord an der tätowierten Frau zu tun hat.“
Edith war stinksauer.
„Das ist doch lächerlich“, schnaubte sie. „Vermisst denn niemand die Tote?“
Stefan schüttelte den Kopf.
„Es haben einige auf die Zeitungsberichte reagiert. Aber bislang ist keine heiße Spur dabei.“
„Was macht der Bericht von Dr. Ullrich aus der Rechtsmedizin?“
„Der ist Mediziner. Kein Hexer.“ Stefan schüttelte erneut den Kopf.
„Mensch, Stefan. Was soll ich nachher nur den Journalisten sagen? Ich habe die Pressekonferenz schon auf 18 Uhr verschoben! Und jetzt ist es schon fünf!“ Ediths Blick blieb an der Pinnwand hängen. „Wer ist verdammt noch mal die Tote? Habt ihr wegen der Implantate eine Rückmeldung von den Zahnärzten? Was ist mit den Videos vom Schuhgeschäft? Sieht man da wenigstens etwas?“
„Oh sorry, das hab ich total vergessen. Silke hat die Szene gefunden. Warte mal ’ne Sekunde.“ Stefan sprang auf und startete den Recorder. „VHS-Kassetten aus dem letzten Jahrhundert, da kommen sogar in mir nostalgische Gefühle hoch“, grinste der Kommissar und spulte langsam vor. „Hier. Das ist die Szene.“
Edith blickte auf eine junge, fröhliche Frau mit langen blonden Haaren, die in roten Stiefeletten aufreizend vor einem ausgesprochen gut gekleideten Mann mit Halbglatze, der mit dem Rücken zur Kamera stand, hin und her stolzierte. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr und lachte, als sie kokett die Augen niederschlug.
„Dreh dich verdammt noch mal um“, dachte Edith.
Das Band war zwar ohne Ton, doch die Szene war eindeutig.
„Voll nuttig“, stellte Silke Müller, die gerade mit ihrer Kaffeetasse ins Büro zurückgekommen war, fachmännisch fest. „Die roten Stiefeletten passen wie die Faust aufs Auge.“
„Wie meinen Sie?“ Edith stutzte.
„Kucken Sie doch mal. Das ist doch das typische Geschenkfür-Sex-Gebalze. Voll billig. Na ja, was kann man anderes von einem drittklassigen Videoproduzenten erwarten? 49,90 Euro für ein Paar Schuhe. Das sind echte Dumping-Preise.“
Tiefe Verachtung schwang in der Stimme der Sekretärin.
„Woher wissen Sie, wie viel die Schuhe gekostet haben? Und, ähm … woher wissen Sie, dass der Mann Videoproduzent ist?“
Edith war verdutzt.
„War nicht allzu schwierig. Ich hab heute Mittag bei Street & Shoes angerufen und gefragt, wer am Montag rote Stiefeletten gekauft hat. Laut Buchhaltung sind die Schuhe nur dreimal über den Ladentisch gegangen. Der Mann, der mit Kreditkarte gezahlt hat, heißt Alexander Paul“, stellte Silke Müller nicht ohne Stolz fest.
„Woher wissen Sie, dass er mit Kreditkarte gezahlt hat?“ Edith war verblüfft.
„Sieht der so aus, als ob er bar zahlt?“, erwiderte die Sekretärin leicht pikiert. Dann lachte sie. „Er holt gleich die Brieftasche raus, deshalb weiß ich’s. Oder glauben Sie, ich könnte hellsehen?“
Ein breites Grinsen huschte über das Gesicht der Sekretärin.
„Schauen Sie hin, gleich tätschelt er ihren Po. Wie die Pferdeführer der Henninger-Brauerei. Wenn die Gäule im Geschirr artig den Bierwagen mit den Fässern über die Dippemess gezogen haben, werden die auch so nett getätschelt. Achtung … jetzt!“
Der Mann gab der jungen Frau einen Klaps auf den Po, als sie das dritte Mal mit kessem Hüftschwung an ihm vorbeistiefelte. Abrupt blieb sie vor ihm stehen und warf ihm einen schmollenden Blick zu. Er schaute sie an, dann drehte er sie mit einem festen Griff ruckartig um, und sein Blick wanderte prüfend ihre langen Beine hinab bis zu den roten Stiefeletten.
„Widerlich!“ Silke Müller schüttelte sich. „So ein alter Sack. Der sabbert ja schon.“
Edith Tannhäuser sah unauffällig an sich herunter. Sie war mindestens ebenso alt wie dieser „Sack“.
„Wirklich gut gemacht, Frau Müller!“, lobte sie ihre Mitarbeiterin, die sich verlegen wegdrehte, um ihr errötendes Gesicht zu verbergen. „Und woher wissen Sie, dass der Mann Videoproduzent ist?“
„Wofür gibt es Google?“, entgegnete Silke Müller flapsig. Klingt wie ‚Wo ist das Problem?’, dachte Edith, die das Gefühl beschlich, irgendwie nicht ganz auf der Höhe der
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