Darling
durchgedreht war, hatte so auch nicht im Skript gestanden.
Clara hatte heute Morgen auf dem Anrufbeantworter besorgt geklungen. Aber er hatte nicht zurückgerufen. Zum einen, weil sich die Verhandlungen mit dem neuen Europamanager von Kinks.com in die Länge gezogen hatten. Die Amerikaner wollten keine Altlasten übernehmen. Clara passte nicht ins zukünftige Marketing und Vertriebskonzept. Nur noch junge Frauen sollten gecastet werden. Am besten Osteuropäerinnen, die galten als pflegeleicht. Aber im Prinzip war es egal. Die wirtschaftliche Lage ließ viele Frauen ins Video-Business einsteigen, um schnelles Geld zu verdienen.
Claras Konzept von Authentizität, das sie die Filme an Originalschauplätzen drehen ließ, sorgte bei den US-Managern für Unverständnis. Wer wollte so etwas Spleeniges sehen? Viel zu aufwendig, zu anspruchsvoll, zu teuer. Die Darling-Produktion würde unter US-Management knallhart auf Massengeschmack getrimmt werden. Mainstream. Das war lukrativ. Die Triebfeder des Internets sind billige Pornofilme und kein authentisch verklärter kultureller Schnickschnack, hatte ihm sein amerikanischer Geschäftspartner amüsiert erklärt. Effektiver seien Studios. Da könne man professionell rund um die Uhr arbeiten. Statt Locations auszuwählen, die am nächsten Tag wieder für ihre originäre Bestimmung zur Verfügung stehen müssten.
Alexander Paul fand das ausgesprochen plausibel. Das würde auch den Wünschen seiner Kameramänner entgegenkommen. Die einzige Klippe war jetzt noch Clara. Es würde sicher nicht leicht werden, sie zu überzeugen. Aber hätte sie eine Alternative? Die Übernahme der Darling-Produktion wäre das Aus ihrer Geschäftsidee. Und im Prinzip die Trennung. Und zwar nicht nur beruflich, auch privat. Seit er Patricia kennengelernt hatte, wusste er, was er wirklich in diesem Leben wollte. Oder was er nicht mehr wollte. Von Vorteil war es zwar immer gewesen, dass er auf Claras absolute Loyalität zählen konnte. Aber der Rest? Vieles war nach knapp zwanzig Jahren Ehe Gewohnheit. Gut, die steuerlichen Gründe waren ein Vorteil. Wobei es nicht notwendig sein würde, sich scheiden zu lassen. Das würde auch Clara einsehen, denn die finanziellen Vorteile der Ehe würden auch ihre Zukunft absichern.
Clara hatte unbestritten eine Ausstrahlung, die Menschen faszinierte. Ihre Augen waren echter Wahnsinn. Oder ihre laszive, erotische Stimme, besonders wenn sie lachte. Aber auf ihn übte das alles keinen Reiz mehr aus. Er wollte jetzt endlich in ein neues Leben durchstarten. Und sicher würde er auch wieder einer Frau wie Patricia begegnen. Sie hatte ihm gefallen. Wenn sie ihn bedingungslos anhimmelte, fühlte er sich bestätigt. Alexander seufzte nachdenklich auf, als der Schub der Rolls-Royce-Triebwerke den Airbus kurz vibrieren ließ. Dann hob der Jet sanft in den wolkenverhangenen Nachthimmel über München ab.
57
Es war kurz vor neun, als Edith Tannhäuser bei „Paul und Sander“ klingelte. Auf ein fragendes „Ja?“ antwortete sie kühl:
„Tannhäuser, Kripo Frankfurt. Können Sie bitte aufmachen?“
Nach einer kurzen Pause hörte sie den elektronischen Türöffner. Energisch stapfte Edith die Treppen hoch bis zum dritten Stock. Als sie auf die Klingel drückte, öffnete sich die Wohnungstür.
„Ja?“
„Guten Abend, Tannhäuser, Kripo Frankfurt“, stellte sich Edith vor und zückte ihren Ausweis.
„Ich möchte gerne Herrn Paul sprechen.“
„Der ist leider nicht da“, antwortete eine attraktive Frau, die Edith auf Anfang bis Mitte vierzig schätzte. „Er ist geschäftlich in München.“
Edith überlegte kurz. Dann musterte sie die Frau intensiver. Gepflegte Erscheinung. Perfekt geschminkt. Um den Hals trug sie eine Silberkette. Als Edith den Silberflügel sah, schloss sie für eine Sekunde die Augen und holte tief Luft.
„Frau … Sander?“ Clara nickte.
„Frau Sander, ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen. Hätten Sie einen Augenblick Zeit für mich?“
Edith schaute Clara forsch an. Widerspruchslos öffnete sie die Tür.
„Kommen Sie herein.“
Edith registrierte sofort, dass die geschmackvoll eingerichtete Wohnung überhaupt nicht in das abgewohnte Mietshaus passte. Das weiße Ledersofa, die modernen Fotografien an den Wänden, der großzügig erleuchtete Balkon. Auf dem Tisch standen zwei benutzte Gläser. Daneben lag eine Schachtel Marlboro.
Umständlich nestelte Edith zwei Fotos aus den Tiefen ihres Winterwollmantels.
„Kennen Sie die
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