Darling
die Fakten. Irgendetwas an Claras Blick, an ihren Gesten hatte Ediths Spürsinn geweckt. Warum hatte sie so merkwürdig kontrolliert auf das Foto ihres Mannes, das ihn in einer sehr eindeutigen Situation mit einer anderen Frau zeigte, reagiert? War das normal? Oder war es Clara Sander egal gewesen, mit wem sich ihr Mann zum Schuhekaufen traf?
Edith grübelte. Ihre letzte Beziehung lag schon etwas länger zurück. Aber wenn ihr jemand so ein Foto unter die Nase halten würde, dann hätte sie sicher nicht so kühl und beherrscht reagiert. War es mittlerweile alltäglich, dass der eigene Ehemann mit einer fremden Frau verliebt bummeln ging? Nein, da passte etwas nicht. Nur was?
Edith schloss die versiegelte Tür von Karl Blums Haus auf. Im Nebenhaus kläffte wütend ein Hund. Dann knipste sie das Licht im Flur an. Es roch muffig. Aufmerksam wanderte ihr Blick durch das Wohnzimmer. Auf dem Tisch stapelten sich Papiere, Ordner mit Rechnungen, Steuererklärungen, Quittungsbelegen. Flüchtig blätterte die Kommissarin durch die Kontoauszüge. Nichts Auffälliges, Strom, Gas, Telefon, kein Internet-Anschluss. Alles penibel aufgelistet.
Edith Tannhäuser seufzte, als sie die Schubladen des Eichenschranks eine nach der anderen aufzog. Ein paar vergilbte Fotos, die Betriebsanleitung für den DVD-Player, eine Sonnenbrille, ein unbenutzter Aschenbecher, diverse Schlüssel. Der Blick der Kommissarin schweifte zum Regal. Säuberlich aufgereiht standen dort Dutzende DVDs mit bekannten Filmtiteln der 50er Jahre. „Das Fenster zum Hof“, „Vertigo“, „Der unsichtbare Dritte“, „African Queen“, „Sie küssten und sie schlugen ihn“.
Edith kannte nahezu alle Titel aus ihrer Jugendzeit. Aber das lag weit zurück, und die Erinnerungen waren nur noch blass. Kaum einer der Schauspieler war ihr noch präsent. Zum Beispiel „Das Fenster zum Hof“ – sie wusste, sie hatte diesen Film früher geliebt, aber heute fiel ihr trotz intensiven Nachdenkens nicht einmal mehr der Name des Hauptdarstellers ein. Grübelnd zog sie den Film aus dem Regal und öffnete die Hülle. Was sie sah, verblüffte sie.
Vor ihr lag der Schlüssel zur Lösung des Rätsels. Hastig öffnete sie ein zweites Cover. Wie Schuppen fiel es ihr von den Augen, warum Karl Blum Windeln in seinem Schlafzimmer gehortet hatte.
Nachdenklich legte sie die DVDs auf den Tisch und schaute auf die Fotos an der Wand. Karl Blum und seine Mutter. Karl Blum und sein Taxi. Edith holte tief Luft und wischte dann ihre düsteren Gedanken zur Seite.
„Stefan? Sorry, dass ich dich so spät noch störe. Ich habe da etwas im Haus von Karl Blum gefunden. Kannst du noch mal ins Präsidium kommen? … Du wolltest mich eben anrufen? Warum? Silke? … Ich war eben bei Alexander Paul. Aber seine Frau hat gesagt, er sei geschäftlich in … Was? Wieso sagt mir das niemand? Typisch!“
Wütend drückte Edith Tannhäuser die rote Austaste ihres Handys. Dann stopfte sie eine Handvoll DVDs in die breiten Taschen ihres Wollmantels und zog die Tür von Karl Blums Haus fest hinter sich ins Schloss.
59
Clara saß schweigend auf der Couch, als Adrian aus dem Schlafzimmer zurückkehrte.
„Was ist los?“
Clara zuckte mit den Achseln und sah zu ihm hoch.
„Ich weiß nicht …“
Clara senkte ihren Blick und musterte ihre Hände. Sie fühlte auf einmal eine beängstigende Leere in sich. Als ob etwas wegbrach, was ihr jahrelang wie ein Korsett Halt gegeben hatte.
Adrian musterte Clara, die blass und hilflos wirkte.
„Clara?“
„Er hatte eine Affäre mit Patricia.“
Claras Blick wirkte unendlich traurig. Unschlüssig griff Adrian nach der Schachtel Marlboro und ging zur Balkontür.
„Tut mir leid, aber ich komme nicht mit.“ Er schob die Tür auf und zündete sich eine Zigarette an. „Was heißt das? Wollen Sie damit sagen, dass Alex Sie umbringen wollte? … Dass das defekte Kabel im Niederräder Klärwerk gar kein Unfall war?“
Clara schüttelte den Kopf. Aber es wirkte nicht sonderlich überzeugend.
„Warum sollte er Patricia töten, wenn er eine Affäre mit ihr hat? Das macht keinen Sinn, oder?“
Adrian inhalierte tief.
„Vertrauen Sie Ihrem Mann immer noch?“ Clara zuckte.
„Bis vor einer halben Stunde hätte ich diese Frage ohne zu zögern mit ja beantwortet. Aber jetzt …“ Clara stockte. „Ich weiß nicht, was ich jetzt denken soll. Es geht alles viel zu schnell.“
Adrian schnippte die Zigarette über das Geländer.
„Clara, er hat zusammen mit Erik
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