Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
nicht allein auf Adaption der Tiere.
Ein entscheidender Denkschritt: Zucht nutzt die Anpassungsfähigkeit der Arten. Sie stellt nichts anderes dar als von Menschen gesteuerte Evolution. Die Beobachtungen auf seiner Reise allein hätten Darwin nicht gereicht. Doch als er die unsichtbare Hand der Schöpfung und die sichtbare des Züchters nebeneinanderhält, kommt ihm Anfang 1839 die Idee seines Lebens: die »natürliche Zuchtwahl«.
Das Grundprinzip ist so einfach, dass jeder Bauer darauf kommen
könnte: Was klassische Züchter aus einer Art »herausholen« können, muss irgendwie auch in ihr stecken. Sie fügen nichts hinzu und nehmen nichts weg. Vielmehr verändern sie etwas in Pflanzen und Tieren, ohne es anzutasten - und zwar allmählich über viele Generationen. Dazu nutzen sie von jeher das natürliche Prinzip der Variation. Ein ums andere Mal sondern Züchter Individuen mit gewünschten Eigenschaften ab und bringen sie durch Fortpflanzung zusammen. Von Generation zu Generation zeigen die Nachkommen die Qualität deutlicher. Die Größeren bekommen größere Nachkommen, und wenn unter diesen wiederum die größten gemeinsam Nachwuchs zeugen, wird ein Teil erneut größer und so weiter, bis eine natürliche Grenze erreicht ist. Um das zu sehen, muss man weder Gene noch Genetik kennen.
Darwin kommt sein genialer Gedanke, als er eine Analogie wagt: Sobald durch Zucht ein Selektionsdruck in eine Richtung entsteht, egal, ob zu mehr Ertrag oder schnellerem Wuchs, folgen die Tiere nach und nach der gewünschten Richtung - und zwar dauerhaft: Schäferhunde bringen wieder Schäferhunde hervor, Weizenkörner Weizenpflanzen. Entsteht in der Wildnis ein vergleichbarer Druck, der etwa schnelleren Nagern einen Vorteil gegenüber langsameren verschafft, weil sie besser vor Räubern flüchten können, dann wirkt die Natur wie ein Züchter, und auf Dauer wird die ganze Mäusepopulation flinker. Darwin macht die künstliche zum Extremfall der natürlichen Auslese.
Noch fehlt ihm jedoch der zweite Baustein, um seinen Mechanismus zu erklären: Was bewirkt die »Zuchtwahl«? Die Antwort findet er nicht in der Natur, sondern in einem Buch. Am 28. September 1838 schlägt er mehr zum Zeitvertreib den »Essay on the Principle of Population« von Thomas Malthus auf. Der Brite hat schon vier Jahrzehnte zuvor eine einfache Rechnung aufgestellt, die Darwin höchstwahrscheinlich längst bekannt ist: Wenn sich die Menschheit exponentiell vermehrt und innerhalb von fünfundzwanzig Jahren verdoppelt (was sie nicht tut), die verfügbare Nahrungsmenge aber nur linear ansteigt (was auch dank Züchtung weit übertroffen wird), dann kommt irgendwann zwangsläufig der Punkt, da nicht mehr alle genug zu essen haben.
Malthus sagt Hungerkatastrophen voraus mit dramatischen Folgen wie Krankheit, Krieg und Kannibalismus. Nur die Stärksten würden den Kampf überleben. Die politische Lehre aus seiner Analyse gehört zu den einflussreichsten des 19. Jahrhunderts: Im Widerspruch zum Geist der Französischen Revolution wendet er sich gegen jede Art von Sozialtransfer, da Almosen die Armen nur zu mehr Nachwuchs ermunterten. Darwin kennt die Ideen, doch die Konsequenzen hat er bis dahin noch nicht zu Ende gedacht. Ich habe keine Zweifel, vertraut er Notizbuch D an, dass jeder, bis er tief darüber nachdenkt, angenommen hat, dass die Zunahme an Tieren exakt im Verhältnis zur Zahl derer steht, die leben können.
Umgekehrt heißt das: Organismen vermehren sich so lange exponentiell, wie sie genug Nahrung oder Nährstoffe bekommen. Wie weit das gehen kann, zeigt sich in den Bottichen von Martin Hevia. Da werden »Superbullen« isoliert, Fortpflanzungszyklen mit Hormonimplantaten synchronisiert und aus »Supermüttern« die Eier regelrecht extrahiert. Kürzlich sind aus Gelegen eines einzigen Corvina-Weibchens 350000 Jungfische geschlüpft. In den Bottichen herrscht optimale Temperatur, es gibt nie Mangel an Nahrung mit bester »Verdaulichkeitsrate« und keinen Stress durch Räuber - bis die Schlachtbank ruft.
Davon kann draußen im freien Ozean natürlich keine Rede sein. Da bleiben Populationen trotz enormer Schwankungen auf lange Sicht konstant, auch wenn sie als echte r-Strategen wie die Corvina Zehntausende Eier legen. Dass dennoch im Schnitt nur zwei pro Paar übrig bleiben und die Fortpflanzungsrate nicht der Vermehrungsrate folgt, hat einen einfachen Grund. Noch am selben Tag, da er den Malthus zur Hand genommen hat, macht Darwin die alles
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