Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
verändernde Notiz: Nimm Europa im Durchschnitt, in jeder Spezies muss Jahr für Jahr dieselbe Zahl getötet werden, durch Falken. Kälte etc.
Das erste entscheidende Wort ist Durchschnitt . Darwin hat von Malthus gelernt und führt statistische Prinzipien in die Biologie ein. Nur damit lassen sich die Prozesse im Großen erfassen. Bei ausreichendem Nahrungsangebot für die Nager hält der Falke die Mäusepopulation konstant, und umgekehrt entscheidet (im vereinfachten Modell) die Zahl der Beutetiere über die der Raubvögel. Das zweite Wort von Gewicht: getötet . Es herrscht, kurz gesagt, ein einziges Hauen und Stechen,
dem Darwin später seinen berühmten, von Malthus abgeleiteten Namen gibt: Kampf ums Dasein.
Man kann sagen, dass es eine Kraft gibt wie hunderttausend Keile, die angepasste Strukturen aller Art in die Lücken der Ökonomie der Natur zu treiben versucht, oder auch Lücken zu schlagen, indem sie schwächere verdrängen. Und diese »Kraft« sorgt ohne menschliches oder göttliches Zutun für die natürliche Auslese. Schließlich folgt der Satz der Sätze: Der letzte Grund für all dieses Keileschlagen muss sein, eine geeignete Struktur einzurichten und an den Wandel anzupassen.
Jetzt hat Darwin fürs Erste alles beisammen: Alle Populationen produzieren, wenn sie können, mehr Nachkommen, als sie selbst zusammengenommen zählen. Da ihre Größe konstant bleibt, muss die Zahl ihrer Individuen kontrolliert werden. In jeder Generation werden die Schwächsten aussortiert - was Malthus als reinigende Kraft begrüßt. Umgekehrt selektiert die Natur wie ein Züchter auf diese Weise die besser Angepassten heraus. Diese Erhaltung vorteilhafter individueller Unterschiede und Veränderungen und diese Vernichtung nachteiliger, heißt es in der »Entstehung der Arten« zwanzig Jahre später, nenne ich natürliche Zuchtwahl oder Überleben des Tüchtigsten.
Auch wenn Darwin hier fälschlicherweise Mechanismus und Resultat des Prozesses gleichsetzt - seine wesentliche Leistung besteht darin, zwei völlig unterschiedliche, für sich genommen allseits bekannte Phänomene in einem Bild zusammenzubringen: den natürlichen Kampf ums Überleben durch Fressfeinde und ständig drohende Nahrungsknappheit einerseits sowie andrerseits die Anpassung durch Selektion, wie Züchter sie erzwingen. Die Hypothese einer möglichen Evolution hat er induktiv formuliert, aus Beobachtungen in der Natur. Seine Theorie der Evolution aber gewinnt er deduktiv. Erst bringt er wie Klinge und Stiel zwei Dinge zusammen, die gemeinsam das Beil ergeben, mit dem er den Knoten durchschlagen kann. Dann wächst aus dieser Emergenz, dem Zusammengehen zweier Ideen, ein Gedankenmodell, dessen Gültigkeit an der Natur gemessen werden kann.
Es ist ein schöner Teil meiner Theorie, schreibt er wenig später selbstbewusst in sein Notizbuch E, dass domestizierte Rassen von Organismen auf genau dieselbe Weise erzeugt werden wie Spezies - Letztere nur viel perfekter, aber unendlich viel langsamer. Die Zeitdifferenz zwischen künstlicher
und natürlicher Auslese spiegelt den wichtigsten Unterschied zwischen kultureller und biologischer Evolution wider: Letztere tastet sich blind voran, Erstere arbeitet auch gezielt und damit ungleich effektiver.
Und sein Kommentar? Kein Ausdruck von Freude oder Überschwang. Womöglich hat Darwin in diesem Augenblick noch gar nicht erkannt, wie weit der Knoten durchschlagen ist: Wenn die Schwächeren zum Wohl der Stärkeren auf der Strecke bleiben, dann besitzt der Tod eine kreative Kraft. Kein Schöpfer oder Züchter sucht die Besten aus. Vielmehr entscheiden Zufall und natürliche Auslese über die Richtung der Entwicklung. Bei der Evolution geht es oft weniger um Meisterschaft als um den Abstieg. Ihre wichtigste Regel heißt nicht: The winner takes it all, sondern: Den Letzten beißen die Hunde.
Aber der Mensch - der wunderbare Mensch, notiert Darwin, der ist eine Ausnahme. Hat Gott ihn nicht nach seinem Ebenbild erschaffen? Drei Zeilen später hat er sich wieder gefangen: Er ist keine Ausnahme. Was der übrigen Natur recht ist, kann uns nur billig sein. Eine gefährliche Wendung.
Selbst auf der Sonnenseite der Gesellschaft groß geworden, bezieht Darwin die Szenarien von Thomas Malthus nicht auf seine eigenen Kreise, sondern auf die niederen Schichten. In seiner »Abstammung des Menschen« schlägt er vor: Alle sollten sich des Heiratens enthalten, welche ihren Kindern die größte Armut nicht ersparen können. Die
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