Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
das Problem längst nicht gelöst. Das Ziel kann es nicht sein, Milliarden gerade so durchzubringen. Wo ich auch hinkomme auf meiner Reise, die Blicke richten sich vor allem auf Europa, wo es von außen betrachtet fast paradiesisch zugeht: Sicherheit, kein Wort ist öfter zu hören. Sicherheit vor Hunger, Verbrechen, Armut und bei der medizinischen Versorgung.
Nirgendwo ist mir das so deutlich geworden wie bei meinen Fahrten durch Chile. Das Land mit seinen gerade mal sechzehn Millionen Bewohnern steht exemplarisch für immer größere Teile der Welt. Mit einer Geburtenrate fast auf europäischem Niveau, also weniger als zwei Kinder pro Paar, macht es sich daran, eine breitere Mittelklasse, wie in Europa üblich, zu etablieren und die Unterschiede zwischen Arm und Reich wenigstens abzumildern - und damit auch die Kriminalität. Der Rohstoffboom spült Geld in die Staatskasse (den Kupferabbau hat nicht einmal Diktator Pinochet privatisiert), die sozialistische
Regierung investiert in Wohnungsbau, Infrastruktur und Bildung. Gewaltige monotone Wälder, mit einer Holzernte komplett gefällt und zu Papier verarbeitet. Tagebau mit Gruben, die vom Mond aus mit bloßem Auge zu erkennen sind. Schwertransporter im Hafen von Concepción, die ihr Kupfererz direkt aufs Förderband kippen. Die Schiffe nach China warten aneinandergereiht. Überall im Land Baustellen, neue Straßen, Häuser für die Armen, Apartmentkomplexe, Shopping Malls und neue Schulen.
Nichts anderes passiert in China, Indien und anderen Ländern rund um die Welt. Außer Bevölkerungs- produziert die Menschheit (im guten Sinne von Marktwirtschaft) auch noch ökonomisches Wachstum und Kaufkraft. Das aber bedeutet - und hier verschärft sich das biologische Problem durch den kulturellen Fortschritt -, dass jeder im Schnitt mehr verbraucht. Wenn aber nur die Hälfte der Weltbevölkerung den Wohlstand der untersten Mittelklasse in Europa erreichen soll (was könnten wir dagegen haben?), dann wäre die Erde beim heutigen Stand von Landwirtschaft und Technik schon mit vier Milliarden überbevölkert.
Bereits Darwin erkennt die Relativität des Reichtums: Armut ist ein seltener Anblick in Südamerika; auch ist es hier nicht die Armut von Europa; es gibt Grundnahrung, einfache Kleidung und Feuerholz im Überfluss; die Armut liegt eher in der Schwierigkeit, genügend Gewinn zu erwirtschaften, sich auch nur den kleinsten Luxus zu gönnen.
Selbst wenn das Bevölkerungswachstum heute zum Stillstand käme, müsste die Zahl der Autos, Kühlschränke, Heizungen, Heimkinos oder der Quadratmeter an Wohnraum noch lange weiter ansteigen, um den Bedarf zu befriedigen. Jeder Schritt zu breiterem Wohlstand verschärft die Spannung zwischen Ökonomie und Ökologie und damit die malthusische Krise. Da konkurrieren Luxus und blanke Lebensnot, Wegwerfgesellschaften mit Hungerländern, Treibstoff und Nährstoff.
Darwin ist von solchen Ideen weit entfernt. Er reist durch die menschenleere Welt der südlichen Hemisphäre. Die Neue Welt vermittelt mancherorts bis heute diesen Hauch von Weite und Freiheit. Doch wo er es noch mit zehn Menschen zu tun hat, sind wir inzwischen bald siebzig.
Als die Beagle die Westküste Südamerikas erreicht, ist die Eiseskälte überstanden. Doch das Wetter bleibt ein Thema. Ich nehme nicht an, dass irgendein Teil der Welt so verregnet ist wie die Insel Chiloé. Im Winter könnte nur ein amphibisches Tier dieses Klima ertragen. … Selbst die Einwohner haben kein Wort zu seinen Gunsten zu sagen; … ¿no es muy mala? Ist es nicht ein elender Ort? Ich konnte nicht genug Höflichkeit aufbringen, ihnen zu widersprechen.
Mehr als dreihundert Tage Dauerregen im Jahr. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass sich die letzten Wochen übertreffen lassen. Einen sonnigen Tag zu erwischen ist noch seltener, als auf Kap Hoorn zu landen. Wer dennoch das Glück hat, merkt es sich mit rosa Tinte. Es war ein schöner Tag, und die zahlreichen Bäume, die in voller Blüte standen, erfüllten die Luft mit ihrem Duft. An solch einem Tag bringt mich die kleine Autofähre Alonso de Ercilla auf die grüne Insel Chiloé, eine Stunde südlich von Puerto Montt.
Das wellige, teilweise kultivierte Waldland erinnerte mich an die wilderen Gegenden Englands . Auf dem Friedhof von Bahía Caulín mit seinen plastikblumenbunten Gräbern zeugen Namen wie Stolpe, Kühl oder Hannig auf den Grabsteinen von der deutschen Abstammung mancher nicht indianischer Familien. Am Strand
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