Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
sich gern, warum sie überhaupt erschaffen wurden.
Sein Leben lang wird Darwin die Frage beschäftigen, wie das Neue in die Welt des Lebens kommt und welche Rolle dabei der Zufall spielt. Die natürliche Auslese allein kann keine neuen Arten erzeugen. Wenn sie wie ein blinder Züchter aus dem Erbgut zweier Eltern der gleichen Art auswählt, dann lässt sich zwar der Weg vom wilden Tier zum Haustier erklären, vom Wolf zum Hund und weiter zu Bulldogge oder Bernhardiner. Um aber aus niederen Formen höhere zu entwickeln, aus primitiven Würmern komplexe Warmblüter, aus Affen Menschen, muss irgendetwas in den Lebewesen stecken, das von Generation zu Generation weitergereicht wird und sich dabei verändern kann.
Genau solche »Einheiten der Vererbung« hat der Augustinermönch Gregor Mendel im böhmischen Brünn bereits zu Darwins Lebzeiten entdeckt: die erstmals 1909 so genannten Gene. Als er Varianten der Erbse und anderer Pflanzen kreuzt, stößt Mendel bei den Nachkommen in der Verteilung von Eigenschaften wie Farbe oder Form auf Regelmäßigkeiten. Seine Schlussfolgerungen werden erst im 20. Jahrhundert als »mendelsche Gesetze« bekannt und machen ihn zum »Vater der Vererbungslehre«.
Mendel sieht als Erster, dass sich das Erbgut aus Elementen zusammensetzt, von denen beide Elternteile jeweils eines beitragen. Jedes
ist - in der damaligen, vereinfachten Vorstellung - für eine Eigenschaft wie etwa Form oder Farbe zuständig. In jedem Nachkommen werden die Elemente neu gemischt, und zwar zufällig, so wie Darwin es vermutet. Kommen zwei unterschiedliche Varianten desselben Merkmals, wie das Rot und das Weiß einer Blüte, zusammen, dann entscheidet die »dominante« Erbanlage über die Farbe, während die »rezessive« wirkungslos bleibt. Bei »ko-dominanten« Genen kommt es zur Mischform - die Blüten sind rosa. Welches von beiden Genen an einen Nachkommen weitergegeben wird, entscheidet wiederum jeweils der Zufall.
Viel ist darüber spekuliert worden, ob Darwin Mendels Ergebnisse gekannt hat. Eher unwahrscheinlich, hätte er darin doch mit Sicherheit einen fehlenden Teil seiner Theorie erkannt. Umgekehrt ist der Mönch seiner Zeit voraus und zugleich doch nicht ganz auf ihrer Höhe: Er liest Darwins Evolutionstheorie von 1859, begreift aber nicht die Relevanz seiner eigenen Arbeiten für die Entstehung der Arten.
Darwins ungeklärte Frage - Wie entstehen neue Eigenschaften, die höhere Formen erst möglich machen? - lässt sich durch die Existenz der Gene allein ohnehin nicht beantworten. Erst Jahre nach Mendels und Darwins Tod findet der Biologe Hugo de Vries eine Antwort: Gene können sich verändern. Der Niederländer ist einer von drei Forschern, die im Jahr 1900 unabhängig voneinander Mendels Werk wiederentdecken. Schon im folgenden Jahr stößt er bei seinen Experimenten mit Nachtkerzen auf sprunghafte Veränderungen im Erbgut. Er nennt sie »Mutationen«. Bald stellt sich heraus, dass sich deren Häufigkeit durch Umweltfaktoren wie radioaktive Strahlung oder Chemikalien erhöhen lässt. Wann und an welcher Stelle im Erbgut, also in welchem Gen sie auftreten, lässt sich jedoch nicht prognostizieren.
De Vries gelingen zugleich zwei fundamentale Entdeckungen: Wenn etwa in einer Pflanze durch eine einzige Mutation die Blütenfarbe von Rot zu Weiß wechselt, und nicht über die Generationen allmählich über alle Zwischentöne, dann widerspricht das einem bis dahin ehernen Gesetz: Natura non facit saltus - die Natur macht keine Sprünge. Dasselbe Gesetz hat - eine wissenschaftshistorisch bemerkenswerte Koinzidenz - kurz zuvor Max Planck für die Physik widerlegt. Im Jahr 1900 beschreibt der Deutsche erstmals die später so
genannten »Quantensprünge«, jähe Veränderungen im Spektrum abgestrahlter Wärme.
Eine Zeit lang herrscht de Vries’ Ansicht vor, »dass die Arten nicht fließend, sondern stufenweise auseinander hervorgegangen sind«. In der Begeisterung über das Prinzip der Mutation, das sich bald an Fruchtfliegen und anderen Organismen bestätigt, gerät sogar Darwins wichtigster Beitrag in Vergessenheit: Wenn Mutationen Organismen sprunghaft verändern können, wozu dann noch natürliche Auslese? Um Evolution zu erklären, wird die Genetik zur Konkurrenztheorie der Selektion, der Darwinismus sogar von vielen totgesagt. Erst in den Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts wird die natürliche Auslese rehabilitiert.
Darwin hat angesichts sprunghafter Übergänge in der Reihe der Fossilien
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