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Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

Titel: Darwin - Das Abenteuer Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Neffe
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selbst eine Weile an abrupte Veränderungen geglaubt, wie sie in der Geologie der Katastrophismus lehrt (wo er ihn ablehnt). Die Amerikaner Niles Eldredge und Stephen Jay Gould haben solche Entwicklungssprünge mit langen Ruhephasen dazwischen im Jahr 1972 mit der Theorie des »unterbrochenen Gleichgewichts« erklärt: Evolution läuft nicht ständig im gleichbleibenden Tempo, sondern vielfach in Schüben. Darwin schwenkt spätestens nach seiner Analogie zwischen natürlicher Auslese und Zucht, wo Veränderungen schrittweise auftreten, wieder auf eine allmähliche Evolution im Sinne des Gradualismus ein.
    Heute wissen wir, dass alle Varianten zwischen den Extremen vorkommen können, je nachdem, wie Mutationen Gene verändern. Das folgt aus dem molekularen Mechanismus, der erst Jahrzehnte nach de Vries aufgeklärt wird: Gene können ihre Funktion verändern, wenn während der Zellteilung beim Kopieren der Erbsubstanz Fehler auftreten. Ein einzelner vertauschter Baustein im Erbmolekül DNA kann, wie wir noch sehen werden, tatsächlich zu Quantensprüngen in der Evolution führen.
    Die zweite grundlegende Entdeckung von Hugo de Vries: Er beschreibt eine neue Dimension des Zufalls in der Biologie, ohne den Darwins Evolution nicht erklärbar wäre. Der Unterschied lässt sich, wenn wir uns Gene als Wörter vorstellen, mithilfe eines einfachen Beispiels erklären. Die Wortfolge »Hans geht fort« lässt sich, wenn wir die Wörter im Darwin’schen Sinn nur zufällig mischen, in fünf
weiteren Weisen kombinieren: Geht Hans fort. Fort geht Hans. Fort Hans geht. Geht fort Hans. Hans fort geht. Die Sätze spiegeln die Variabilität wider, haben unterschiedliche »Tauglichkeit« und können sogar unterschiedliche Funktionen haben wie Aussage und Frage.
    Durch die Mutation kann der Satz wie durch Tippfehler in einem abgeschriebenen Text einen völlig neuen Sinn (oder Unsinn) erhalten. Die meisten Kopierfehler entstellen die Bedeutung oder machen den Satz unverständlich: Huns geht fort, Hans gext fort, Hans geht tort und so weiter. Unter den 312 Möglichkeiten, einen einzigen Buchstaben zu verändern, gibt es aber auch ein paar, die das Sätzchen inhaltlich abwandeln: Gans geht fort, Hans geht dort, Hans weht fort und so weiter.
    So ähnlich können Mutationen in Genen - sprunghaft - neue Qualitäten hervorrufen, die Stück für Stück zu neuen Spezies führen. Da die Elternteile unterschiedliche Gene einbringen, können auch völlig neue »Sätze« entstehen. In der Biologie verändert sich die Funktion, in der Sprache der Sinn: Gans weht fort, seht Haus dort, Wort gebt Hand und so weiter.
    Heute wissen wir, dass zur Entstehung der Arten noch ganz andere Vorgänge unabdingbar sind, von der »Gendrift« (auf die wir noch zu sprechen kommen) über die Durchmischung des Erbguts durch »Crossing over«, die Verdopplung von Genen und von Abschnitten des Genoms oder kompletter Chromosomen (erstmals 1910 als Sitz der Erbanlagen nachgewiesen), bis zu »springenden Genen«, der Aufnahme »fremder« Erbsubstanz, etwa aus Viren, oder der Symbiose unterschiedlicher Organismen. All diese Prozesse enthalten weitere Elemente des Zufalls (von den zufälligen Unwägbarkeiten der Umwelt, etwa durch Naturkatastrophen, ganz zu schweigen).
    Doch Darwins Zufall allein reicht schon aus, um ihn in das gefährlichste Fahrwasser seines Lebens zu bringen: Er widerspricht der Idee einer geplanten Entwicklung und damit der Schöpfung. Selbst wenn Gott den Zufall als Prinzip vorgesehen hätte, könnte er keinen Einfluss auf das Ergebnis nehmen, da es dann kein Zufall mehr wäre. Wenn Darwin recht behält, kann er praktisch beweisen, dass die Evolution von niedersten Tieren bis zum HOMO SAPIENS »blind« abgelaufen ist. Eine ordnende oder steuernde Hand ist nicht mehr vonnöten. Die Basis der Idee vom Design ohne Designer ist geboren. Darwin
macht sich die Konsequenzen schon früh während seines Schaffensrausches zwischen 1837 und 1839 bewusst, behält sie aber vorerst für sich.
    Die Anpassungsfähigkeit der Arten rührt gerade daher, dass die Evolution kein Ziel verfolgt und die Zukunft nicht kennt. Das erst erlaubt ihr (und zwingt sie), sich auf jede mögliche Situation einzustellen. Eine Art erzeugt so viele Varianten, dass sie allen Eventualitäten vorbeugt - oder ausstirbt. Jeder planende Eingriff (etwa auch der des Menschen durch Gentechnologie) beruht auf Annahmen über das gewünschte Resultat. Da Zufall Zukunft jedoch prinzipiell unvorhersagbar

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