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Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

Titel: Darwin - Das Abenteuer Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Neffe
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stehen, doch die Bewegung macht mich fast schwindelig.
    Für einen, der mit Bewegungen der Erdkruste lebt, als spürte er ihre Erschütterungen in seinem inneren Film, ein umwerfendes Erlebnis . Die Erde, das Emblem von Festigkeit schlechthin, hat sich unter unseren Füßen bewegt wie eine dünne Kruste über Flüssigkeit. Darwin beschreibt einen geologischen Vorgang, aber es klingt wie der Augenblick kurz vor einer Erleuchtung: Eine Sekunde der Zeit hat im Geist einen seltsamen Begriff von Unsicherheit geschaffen, wie ihn stundenlanges Nachdenken nicht erzeugt hätte. An dieses Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, aber nicht den Halt, wird er sich nach seiner Rückkehr gewöhnen müssen.
    In der Bucht von Concepción landete ich auf der Insel Quiriquina. Die Steilküste besteht praktisch nur aus Versteinerungen. Muscheln, Schnecken, Schildplatten von Kopffüßlern. Kein Kunststück, sich vorzustellen, dass das Ganze einmal Meeresboden war und sich allmählich aus den Fluten hob. Doch Darwin hat hier keinen Blick für fünfundsechzig Millionen Jahre alte Zeugnisse der Kreidezeit. Vor seinen Augen türmen sich die Spuren der frischen Katastrophe. Die ganze Küste war mit Balken und Möbeln übersät, so als seien tausend Schiffe zerschellt. Er hört Berichte, dass in Concepción … kein Haus mehr stehe. Dem Beben folgte ein verheerender Tsunami. Auf meinem Gang um die Insel beobachtete ich, dass zahlreiche Felsbrocken, welche … bis vor Kurzem noch im Wasser gelegen haben mussten, weit den Strand hinaufgeschleudert worden waren.
    Am nächsten Tag kommt er in die Trümmerstadt. Sie bietet ihm das schrecklichste und dabei auch interessanteste Schauspiel, das ich je gesehen hatte - ein … , wenn ich das so sagen darf, malerischer Anblick. Von der Kathedrale stehen nur noch die Grundmauern. Fast alle festen Gebäude sind zusammengeklappt. Das ganze umliegende Land hat sich mehr als einen Meter angehoben. Mehrere Flutwellen haben die Trümmer überspült und ein riesiges Wrack aus treibenden Gegenständen davongetragen. Es ist bitter und demütigend zu sehen, wie Werke, welche die Menschen so viel Zeit und Mühe gekostet haben, in einer Minute umgeworfen wurden. Der Zufall ist in seiner Blindheit so gerecht wie ungerecht in seiner Wirkung.

15
    Santiago und Nordchile

    Antonio Skármeta · Darwins Freund Hooker · Die Hauptstadt von Chile · La Campana · Valparaíso · Darwins Krankheit · Gene und Altern · In die Anden · Geografische Trennung und Artbildung · Bruch mit dem Schöpfer · Acht Jahre mit Rankenfüßern · Leben im All
     
     
    »Wie gefällt Ihnen Chile?« Eine leichtere Frage hätte mir der Dichter nicht stellen können. Antonio Skármeta grinst. Sein breites Gesicht besteht fast nur noch aus Augenschlitzen. Dahinter funkelt es. Was soll ich sagen beim hochkarätig besetzten Dinner in seinem Haus in Santiago? Um den Tisch sitzen der Protokollchef der chilenischen Präsidentin, eine landesweit bekannte Moderatorin, berühmte Schauspieler, eine hoch angesehene Professorin für Sprachwissenschaft und Nora Preperski, die Frau des weltberühmten Schriftstellers, die nicht verleugnen kann, dass sie aus Berlin stammt.
    Beim Thema Pinochet bin ich vorsichtig geworden. Öffentlich lässt die Mehrheit kein gutes Haar an ihrem Diktator, der Tausende Chilenen auf dem Gewissen hatte, der foltern ließ und Zehntausende ins Exil trieb, unter ihnen auch Skármeta. Privat und hinter vorgehaltener Hand kann die Rede allerdings auch schon einmal von den »guten Seiten« des Tyrannen sein, der das Land vor dem Kommunismus bewahrt und den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende gerade noch rechtzeitig gestürzt habe, bevor der Chile der Sowjetunion ausliefern konnte.
    Man fühlt sich an die »Es war doch nicht alles so schlecht«-Reden nach den beiden deutschen Diktaturen erinnert. Pinochet habe Ordnung geschaffen und Wirtschaftskraft, der das Land seinen heutigen Wohlstand verdanke. Konsumismus statt Kommunismus. Unter Allende, das ist immer wieder zu hören, sei sogar Klopapier knapp geworden. So etwas merken sich die Menschen.

    »Ein traumhaft schönes Land haben Sie, vor allem jetzt im Frühling.« Ich habe tatsächlich noch nie eine so dufterfüllte Millionenstadt gerochen wie Santiago de Chile. »Und die Chilenen?« Was mir auf der Zunge liegt, verbietet die Höflichkeit. Ich nehme Zuflucht beim Vergleich. »Ich finde die Menschen hier aufgeschlossener, gelassener und

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