Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
glaube, und wenn sie auch nur von einem einzigen kompetenten Menschen anerkannt wird, dann wird sie einen beträchtlichen Fortschritt für die Wissenschaft bedeuten.
Er schlägt ihr auch vor, wem sie das Manuskript aushändigen könnte. Als Erstes nennt er Lyell, dann Henslow und schließlich auch Hooker.
Knapp acht Jahre nach seiner Rückkehr von der Reise mit der Beagle »steht« Darwins Werk. Warum er weitere fünfzehn Jahre braucht, um es mit der Welt zu teilen, lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: Angst. So jedenfalls lautet die klassische Antwort auf die Frage, warum er seine revolutionären Gedanken nur wenigen, ihm sehr nahestehenden Menschen ans Herz gelegt hat. Bloß: Diese Furcht ist nirgendwo dokumentiert. In keinem Tagebuch oder Brief auch nur die leiseste Andeutung.
Andrerseits gibt es neuen Anlass zur Angst - sowohl vor einer möglichen Veröffentlichung als auch vor allzu langem Schweigen. Wenige Monate nachdem Darwin seinen Essay abgeschlossen hat, macht das Buch eines anonymen Autors in England und bald auch weltweit Furore. Die (mit deutschem Titel) »Natürliche Geschichte der Schöpfung«, hinter der sich der schottische Verleger Robert Chambers verbirgt, trifft ihn wie ein Schock. Allein die Kapitelüberschriften wie »Allgemeine Betrachtungen über den Ursprung der Tiere« oder »Besondere Betrachtungen über den Ursprung der belebten Welt« müssen ihn erschaudern lassen. In vielen Punkten geht der Autor in seiner Argumentation genauso vor wie Darwin. Was aber am schlimmsten wiegt: Auch der andere behauptet, dass sich Spezies verändern können.
Spätestens jetzt weiß Darwin, dass er mit seinen Ideen nicht allein ist. Doch für ihn gibt es weiterhin gute Gründe, sich nicht zu schnell ins Rampenlicht zu wagen. Zum einen bietet auch der Anonymus keinen Mechanismus an, wie Arten sich verändern. Die Erklärung der natürlichen Auslese bleibt - vorerst - allein Darwin vorbehalten. Zum anderen zeigt ihm die Reaktion von Kollegen und Koryphäen, wie vorsichtig er mit seinen Ideen umgehen muss. Den Bestseller des Verlegers lesen nicht nur viele prominente Zeitgenossen wie Baden Powell und Florence Nightingale, Benjamin Disraeli und Abraham Lincoln, Schopenhauer und Königin Victoria.
In der Fachwelt wird das anonyme Werk in schärfsten Kritiken als Pamphlet verrissen. Ein heilsamer Schock, der Darwin deutlich macht, dass er seinen »Fall« sehr gut wird begründen müssen. Er zeigt ihm, wie allergisch seine Umwelt (noch) auf die schiere Behauptung
einer organischen Evolution reagiert. Im Nachhinein erweist sich die erzwungene Verzögerung als äußerst segensreich. Chambers macht die Gesellschaft mit der Idee vertraut. Die nachrückende Generation wird Darwin viel offener begegnen.
Als wolle er die Publikation möglichst lange herauszögern, geht Darwin nun völlig neue Wege. Statt weiter an seiner Evolutionstheorie zu arbeiten, versenkt er sich in ein zoologisches Spezialprojekt. Er beschließt, das erste Standardwerk über eine Gruppe Wirbelloser, die Cirripedia oder Rankenfüßer, zu verfassen. Bevor er die Biologie revolutioniert, muss er erst sein Gesellenstück als Biologe abliefern. Was am 1. Oktober 1846 mit einem Dutzend Exemplaren der Wirbellosen beginnt, wächst sich zu einem acht lange Jahre währenden Mammutprojekt aus. Er steht sie durch, mit brennender Geduld. Das erste Dutzend Tiere aber, mit dem er beginnt, hat er, seither fein aufbewahrt in Spiritus, zwölf Jahre zuvor in Chile gesammelt.
Über keine größere Stadt auf seiner gesamten Reise hat sich Darwin knapper geäußert als über die Hauptstadt der jungen Republik. In Santiago blieb ich eine Woche und genoss meinen Aufenthalt sehr. Eine halbe Seite Tagebuch in neun Tagen. Über die Stadt selbst habe ich nichts Besonderes zu sagen: Sie ist weder so schön noch so groß wie Buenos Aires, jedoch nach demselben Schema angelegt. In dieses Schema, durchzogen von gebührenpflichtigen Stadtautobahnen, zwängt sich heute, in immer neuen Staus und Verstopfungen gefangen, der Straßenverkehr der Sechsmillionenmetropole. In wenigen Städten weltweit atmen die Menschen so verschmutzte Luft wie in Santiago.
Die wachsende Mittelklasse mit ihrem nordamerikanisch gefärbten Lebensstil kann ohne Auto nicht existieren. Man wohnt wie Skármeta hinter hohen Mauern in gediegenen Einfamilienhäusern oder in modernen Apartmentkästen. Von dort bewegt man sich in der Sicherheit seiner Karosse durch die Stadt, bis die Sicherheit
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