Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
findet die erwartete Antwort: Je stärker die Schnäbel, desto größer die Chancen. Sie erlauben es den Finken, auch dickere und härtere Körner zu knacken, wenn ihre üblichen Futtersamen wegen der Dürre knapp werden.
Die Schnabelform wird nicht nur vererbt. Als Anpassung setzt sie sich viel schneller durch als gedacht. Natürliche Auslese, dieser scheinbar so endlos mühselige und langsame Mechanismus der Evolution, kann offenbar innerhalb einer Generation neue Verhältnisse schaffen.
Kaum hat das Ehepaar den überraschenden Fund bekannt gemacht, passiert etwas Außergewöhnliches: Zum ersten Mal seit Beginn der wissenschaftlichen Aufzeichnungen vor hundert Jahren besiedelt eine Finkenart eine neue Insel. Grundfinken einer größeren Spezies machen sich auf Daphne Major breit. Ihre Zahl nimmt stetig zu. In guten Jahren finden beide Arten genug zu beißen.
Dann kommt es erneut zu einer Trockenperiode. Beide Arten werden dezimiert. Doch die Einwanderer, welche die dickeren Samenkörner besser verwerten können, verdrängen die Alteingesessenen. Und was bleibt der kleineren Art? Hier machen die Grants ihre nächste aufregende Entdeckung: Die langjährigen Bewohner reagieren auf die neue Konkurrenz durch Anpassung - und zwar genau in die andere Richtung, als sie es vorher getan haben: Jetzt entwickeln sie kleinere Schnäbel. Dadurch erschließen sich ihnen Futterquellen, etwa in engeren Spalten, die ihre dickschnabligen Konkurrenten nicht erreichen. Und auch diese Anpassung ist in einer Vogelgeneration messbar.
So kommen Darwins Finken hundert Jahre nach seinem Tod wieder zu Ehren. Wie ein Züchter zwingt die Natur den Finken derselben Art größere oder kleinere Schnäbel auf. Genetische Analysen haben gezeigt, dass die Aktivität eines einzigen Gens (für die Produktion des Eiweißstoffs Calmodulin) für die Schnabelgröße verantwortlich ist. Allein über geringfügige Abwandlungen dieses einen Gens kann sie
sich in kürzester Zeit verändern. Deutlicher ist in der Wildnis der Überlebensvorteil durch geringfügige genetische Anpassungen als Antwort auf neue Umweltbedingungen nie demonstriert worden. Auch ein Grund, warum das Magazin »Science« nach vielen neuen Bestätigungen die Evolutionstheorie 2005 zum »Durchbruch des Jahres« erklärt hat.
Galápagos und seine Finken, das ist Evolution in Aktion, wie Darwin sie sich nicht in seinen kühnsten Träumen vorgestellt hätte. Aber eines hat sich in ihm von den Kapverden über die Falklands und Chiloé bis hierher allmählich vom Verdacht zur Gewissheit verdichtet: Inseln spielen bei der Evolution eine besondere Rolle. Im Alter erinnert er sich, welch tiefen Eindruck … der südamerikanische Charakter der meisten Naturerzeugnisse des Galápagosarchipels und ganz besonders die Art und Weise, wie sie auf jeder Insel der Gruppe unbedeutend verschieden sind, auf ihn gemacht haben; keine von den Inseln schien im geologischen Sinne des Wortes alt zu sein.
Gerade neu entstehende Landerhebungen weitab der Kontinente bieten ideale Voraussetzungen für Evolution. Als Erstes siedeln sich Flechten und Pflanzen an, etwa Kokospalmen auf frischen Atollen. Irgendwann verschlägt es Festlandtiere zu den Inseln, auf Treibholz, Eisschollen oder durch Stürme, die Vögel und Insekten hinüberwehen. Wenn sie ankommen, meist allein oder in kleinen Gruppen, zwingt die neue Umgebung sie, sich anzupassen. Schildkröten »lernen«, stachlige Opuntien zu fressen, Landleguane gewöhnen sich ans Leben im Wasser, wo sie ihre pflanzliche Nahrung finden, Finken entwickeln lange Schnäbel, um Larven zu angeln.
In ihrem angestammten Habitat auf dem Festland hatten die Vögel noch ihre eigene spezielle Nische besetzt. Um die Larven kümmerten sich andere. Auf der Insel können Finken plötzlich Spechte mimen, ohne dass ihnen ein »echter« Specht, der das viel besser kann, in die Quere kommt. Andere Finken nehmen den Platz von Kolibris ein, der noch frei ist, und bilden eine neue Art.
Nicht nur eine Mangelsituation, sondern auch Neuland treibt die Evolution geradezu voran. Im Regenwald dagegen haben es Neulinge schwer, noch eine unbesetzte Nische zu finden. Da gibt es für alles und jedes schon hoch angepasste Spezialisten. Solch ausgewogene Biotope
wie tropische Urwälder können sich daher lange stabil halten - wenn der Mensch sie nicht stört.
Es dauert ungefähr bis 1855, dass Darwin dieses letzte Element seiner Weltformel des Lebens erkennt und endlich die Verzweigungen im
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