Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
fixiert seien. Ich bin geneigt, mit Francis Galton darin übereinzustimmen, dass Erziehung und Umgebung nur eine geringe Wirkung auf den Geist eines jeden ausüben und dass die meisten unserer Eigenschaften angeboren sind. Ein Gedankenexperiment hätte ihm das Gegenteil klarmachen
können: Könnte man die biologische Evolution komplett stoppen, würde die kulturelle weitergehen.
Was Darwin, der Sorgfältige, übersieht oder nicht sehen kann, ist seinem großen Konkurrenten, dem Überflieger Alfred Russel Wallace, nicht entgangen. Der hat im malaiischen Archipel in »primitiven« Gesellschaften gelebt und interpretiert Fürsorge und Zusammenhalt als moralische Qualitäten, die sich unter natürlicher Auslese als Überlebensmerkmale durchgesetzt haben. Doch während der menschliche Körper, so Wallace, seine Evolution weitgehend abgeschlossen hat (eine sehr moderne Auffassung), entwickelt sich der menschliche Geist weiter und erhebt sich über die biologische Selektion. Wallace begreift den entscheidenden Punkt: Kulturelle Evolution läuft nicht darwinistisch ab, sondern lamarckistisch - erworbene Eigenschaften wie Sprache oder Mythologie werden kulturell tradiert, nicht über Gene. Information fließt schneller als Blut.
Darwin hat eigentlich genügend Belege, um die geistigen Fähigkeiten mit Vorsicht zu behandeln. Die Unterschiede zwischen Neuseeland und Tahiti hätten ihn stutzig machen können. Doch er biologisiert sie und unterwirft sie dem Regiment seiner großen Idee: Alles, was den Menschen ausmacht, muss durch die Mühle der natürlichen Auslese gelaufen sein. Zwar steckt auch der Mensch als »nicht festgestelltes Tier« ohne Frage noch voller Triebe und Instinkte, die sich evolutionär als vorteilhaft durchgesetzt haben (auch wenn sie es heute oft nicht mehr sind) und daher genetisch vererben. Aber die meisten Fähigkeiten, vom Sammeln und Jagen bis zum Lesen und Schreiben, haben wir, auch wenn sie »in Fleisch und Blut übergegangen« sind, erlernt und geben sie auf gleichem Wege weiter.
Indem sich Darwin an die natürliche Auslese klammert, gesteht er seiner Spezies weniger Freiheiten zu, als die Evolution uns gewährt hat. In heutiger Sprechweise glaubt er, dass Gene unser Verhalten steuern und sich umgekehrt das Verhalten in den Genen niederschlägt und dadurch den Mechanismen der biologischen Evolution unterliegt. Er verhält sich in dem Punkt wie ein Herrscher, der die Größe seines Reiches verteidigt.
Indem Darwin sein Prinzip auf alle Bereiche ausdehnt und auch vor der Kultur nicht haltmacht, erlaubt er die ideologische Überspitzung seiner Theorie im Sozialdarwinismus und fordert auf der anderen Seite deren Verhöhnung als »Affentheorie« im Kreationismus heraus. Dabei begeht er keinen Flüchtigkeitsfehler, sondern leistet sich einen fundamentalen Irrtum, der bis zum heutigen Tage Verwirrung wie Verirrung stiftet.
Der Journalist und Philosoph Herbert Spencer, findet in der »Entstehung der Arten« von 1859 das gesuchte Stück Biologie für seine Weltanschauung vom »Überleben der Tüchtigsten«. Darwin wehrt sich nicht, im Gegenteil: Er übernimmt die griffige Formel in sein Werk. Denn er glaubt an das, was Spencer sagt. Der will Evolution total, vom All bis in die Seele, und vor allem in der Gesellschaft. Krankes, Schwaches und Entartetes merzt sich im Daseinskampf selber aus, das Bessere ist der Feind des Guten.
Spencer schafft mit Darwins Billigung die Voraussetzung für die um sich greifende Biologisierung aller Lebensbereiche. Der Philosoph Thomas Hobbes mit seinem »bellum omnium contra omnes« lebt wieder auf, dem Krieg aller gegen alle, der heute Konkurrenzgesellschaft heißt. Das geht schon im Kindergarten los und endet für immer weniger Menschen mit dem Erreichen der Rente. In einer Art künstlicher Selektion werden Egoismus und Eigensinn gezüchtet, um eigene Vorteile zu sichern. Historisch gesehen eine bemerkenswerte Entwicklung: Gerade in dem Augenblick, da wir uns dank Kultur immer weiter aus der Biologie verabschieden, dehnt sich ihr ideologischer Machtbereich aus. Evolution ist alles, alles ist Evolution.
In diesem Licht besehen ist Sozialdarwinismus seit Spencer nichts anderes als ein verkapptes Programm zur Abschottung der Eliten, das bis heute äußerst wirksam geblieben ist. Würden diese ihren eigenen Gedanken in seiner biologischen Tiefe ernst nehmen, die Gesellschaft durchlässiger machen, allen gleiche Chancen gewähren und echte Konkurrenz der Talente
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