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Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

Titel: Darwin - Das Abenteuer Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Neffe
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zulassen, dann könnten sie ihren Status (neben ihrem Vermögen) nicht mehr gleich Erbhöfen weiterreichen. Da das nicht geschieht, hat der Nachwuchs der Elite ungeachtet seiner biologischen Gaben ungleich höhere Startchancen, in seiner Schicht zu bleiben und sogar aufzusteigen. So gesehen müsste es eigentlich Anti-Sozialdarwinismus heißen.

    Der sozialdarwinistischen Sichtweise, die Darwin nicht ablehnt, hat er es zu verdanken, dass sich Imperialisten (mit seiner Billigung), aber auch Rassenhygieniker und Tyrannen auf ihn berufen. Die Logik dreht die Schraube der Ideologie nur ein Stück weiter: Wenn die Erbkranken und Degenerierten ohnehin dem Untergang geweiht sind, dann kann man auch nachhelfen. Die Definitionshoheit über »minderwertige Rassen« oder »lebensunwertes Leben« liegt in der Hand der Mörder.
    Natürlich hätte sich Darwin gegen derartige Pervertierungen seiner Theorie verwahrt. Gleichwohl hat er sich die unbeabsichtigten Folgen ein Stück weit selbst zuzuschreiben. Statt Kultur und geistige Eigenschaften außen vor zu lassen, setzt er noch eins drauf und bastelt sich 1868 eine seltsame Vererbungstheorie zusammen - drei Jahre nachdem Gregor Mendel die bis heute gültige Vererbungslehre begründet hat. Ohne jede Beobachtungsgrundlage schlägt Darwin - wie vor ihm schon Hippokrates - einen Vorgang namens Pangenesis vor. Er regt an, dass jedes Organ und jede einzelne Zelle des Körpers Gemmulae absondern, Keimchen, die auf Ei- und Samenzelle zurückwirken. Damit führt er, als habe er den Glauben an sein eigenes Werk verloren, durch die Hintertür genau das in seine Theorie ein, was er vorher ausgeschlossen hat: eine körperliche Vererbung erworbener Eigenschaften im Sinne Lamarcks.
    Niemand hat diese Gemmulae je gesehen, mit denen Darwin erklären will, wie sich auch kultureller Fortschritt im Erbgut verankern könnte: Indem sie sich zu Keimzellen zusammenschließen, zu Ei und Samen, sollen Gemmulae aus allen Teilen des Körpers, auch aus dem Gehirn, dessen »Lebenserfahrung« im Sinn von Gebrauch und Nichtgebrauch weitergeben. Als junger Mann hätte Darwin solche Spekulationen kaum seinen geheimen Notizbüchern anvertraut. Mit der Autorität des berühmten Naturforschers veröffentlicht er sie sogar - und ruft unter Kollegen vor allem Kopfschütteln hervor.
    Etwa um die Zeit von Darwins Tod wird einer seiner glühendsten Verehrer in Deutschland mit dieser haltlosen Pangenesis-Theorie aufräumen. Der Freiburger Zoologe August Weismann ist bis dahin selber von der biologischen Evolutionstheorie und auch von ihrer lamarckistischen Komponente überzeugt. Mit seiner Theorie der »Continuität des Keimplasma’s« schafft Weismann drei Jahre nach
Darwins Tod die Grundlage des »Neodarwinismus«. Sie besagt nach heutigem Stand, dass sich bereits im Embryo die Vorläufer von Samen und Eizellen absondern und unabhängig von den restlichen Körperzellen entwickeln.
    Keimzellen repräsentieren als »Genotyp« im Wesentlichen, was man von Eltern und Großeltern mitbekommen hat. Die Selektion setzt ausschließlich am »Phänotyp« an, am fertigen Organismus. Nur wer überlebt und Nachkommen hinterlässt, kann seine Gene weitergeben - wie er sie geerbt hat. Doch was immer einer erlebt und erleidet, leistet oder verbricht, so die Theorie, findet in seinen Genen keinen gezielten Widerhall. Damit wäre der Lamarckismus aus dem Spiel und mit ihm die kulturelle Evolution auf biologischem Weg. Sollte man meinen.
    Doch die Entwicklung nimmt von nun an eine neue Richtung. Die Gene übernehmen die Macht, und zwar nicht nur im wissenschaftlichen, sondern auch im kulturellen Diskurs. Noch bevor überhaupt klar ist, was Gene sind und wie Mutationen zustande kommen, denken in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts Theoretiker über die Vereinigung von Evolutionstheorie und Genetik zum »Synthetischen Darwinismus« nach. Er enthält, wonach Darwin vergeblich gesucht hat: den Mechanismus der Vererbung, Mutation und Rekombination des elterlichen Erbguts als Ursache der Variabilität, und auch seine Elemente Selektion und Isolation.
    Zu den Protagonisten der großen Vereinigung gehören der britische Naturforscher Julian Huxley, der deutsch-amerikanische Biologe Ernst Mayr und der russisch-amerikanische Genetiker Theodosius Dobzhansky. Von dem stammt der oft zitierte Satz: »Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn außer im Lichte der Evolution.« Die erweiterte Evolutionstheorie umfasst in einem durchgängig erklärbaren

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