Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
noch lange nicht billig sein. Bei den Untersuchungen hat sich gezeigt, dass sich auch das Erbmaterial in Hierarchien einstufen lässt. Da gibt es regelrechte »Master-Gene«, die das gesamte Geschehen auf der nächsten Ebene kontrollieren. Sie hören auf Namen wie »hox« oder »pax«, aktivieren als »Kerne« ganze Regelkreise, haben sich in Hunderten Millionen Jahren während der Evolution fast unverändert erhalten und werden mitunter auch als Teil eines gemeinsamen »genetischen Werkzeugkastens« des Tierreichs betrachtet. Acht von ihnen finden sich in nahezu allen untersuchten Mehrzellern.
Ob die Flügel einer Fliege oder die Arme eines Menschen, ihr Aufbau wird eingeleitet durch die Aktivierung eines solchen Master-Gens. Um neue komplexe Formen hervorzubringen, braucht es statt Mutationen oft nur die Modifizierung vorhandener Gene und Entwicklungspläne.
Galápagosfinken können deshalb relativ schnell größere, dickere und robustere Schnäbel entwickeln. So lassen sich einmal mehr auch auch jene Sprünge in der Evolution erklären, mit denen Kreationisten ihre Kritik an Darwin untermauern. Fische etwa besitzen bereits die genetischen Anlagen für Gliedmaßen, die beim Übergang auf das Land »nur« aktiviert werden müssen. Für die Steuerung der Vorgänge sind Mikro-RNA-Moleküle unverzichtbar. Wird ihre Produktion künstlich gestoppt, endet auch die Entwicklung des Organismus. Forscher sprechen in Anlehnung an Computer bereits vom »RNA-Operating-System«, das dem Genom als Programm erst seinen Sinn einhaucht wie das Betriebssystem einem Rechner. Werden diese Effekte berücksichtigt, variiert das Erbgut der Menschen im Vergleich untereinander siebenmal stärker als vor den neuen Entdeckungen vermutet.
Die neuen Steuermoleküle könnten einen weiteren Schlüssel zum Verständnis der biologischen Evolution liefern. Ihre Entwicklung spiegelt den Stammbaum aufseiten der Fauna wider. Erstmals tauchen sie vor gut fünfhundert Millionen Jahren bei komplexeren Tieren mit zwei symmetrischen Körperhälften auf. Von da an haben sie sich durch den gesamten Stammbaum erhalten und finden sich in Fliege, Wurm, Maus und Mensch. Mit jedem großen Entwicklungsschritt nimmt ihre Zahl zu. Selbst wenn sich an der genetischen Ausstattung wenig ändert, wird jede Veränderung des Bauplans von neuen Genregulatoren begleitet. Auch sie werden inzwischen in Arten und Familien eingeteilt. Mit den Wirbeltieren entstehen auf einmal mehr als fünfzig neue Familien, mit den Säugetieren erneut etwa vierzig. Sogar primatenspezifische Mikro-RNA ist mittlerweile bekannt.
Niemand weiß, wie viele Entdeckungen dieser Art noch kommen werden und wie vernetzt die Vorgänge tatsächlich sind. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass es auf der Ebene unterhalb von Organismen eine Vielfalt von Akteuren und Interaktionen gibt, die sich mit denen von Ökosystemen oder Gesellschaftsgruppen vergleichen lassen. Die Ablaufpläne solch hochgeordneter Netzwerke zu beschreiben und zu verstehen, ohne im Sinne des alten Reduktionismus von den Teilen auf das Ganze schließen zu können, stellt die Biologie vor ihre nächste große Herausforderung. Bevor sie nicht besser verstanden sind, sollten sich zumindest beim Menschen jegliche Eingriffe in das Genom verbieten.
Alles andere ist ein Experiment am lebenden Objekt mit ungewissem Ausgang.
Selbst der amerikanische Forscher und Unternehmer Craig Venter, der mit seiner Firma »Celera« dem öffentlich geförderten weltweiten Humangenomprojekt eine umstrittene Konkurrenz geliefert hat und heute im Rahmen der »synthetischen Biologie« mit künstlichen Viren experimentiert, räumt inzwischen ein: »Im Rückblick waren unsere damaligen Annahmen über die Funktionsweise des Genoms dermaßen naiv, dass es fast schon peinlich ist.«
Die Biologie befindet sich seit Darwin auf dem Stand der Physik zu Newtons Zeiten. Dessen Mechanik funktioniert im menschlichen Maßstab bis heute prächtig. Erst Einstein dringt weiter in Mikro- und Makrowelt vor. Er stößt die Tür zur Quantentheorie und damit auch zur heutigen Elektronik auf. Und mit seiner Relativitätstheorie begründet er die moderne Kosmologie.
Darwin hat auf der Ebene der Population ein Modell geschaffen, mit dem die Biologie bis heute gut zurechtkommt. Auf der molekularen wie auf der kulturellen Ebene wartet sie indes auf ihren Einstein (das kann ebenso gut eine Frau oder ein kreatives Team sein), der die Weltformel des Lebens zum Kleinsten und zum Größten
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