Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Produktion. Das menschliche Genom hat Überreste sogenannter Retroviren fest integriert. Ihr evolutionäres Potenzial liegt auf der Hand. So stammt das Gen für den Eiweißstoff Syncytin, der für die Bildung der Plazenta benötigt wird, von einem endogenen Retrovirus ab. Den Beuteltieren Australiens fehlt dieser Mechanismus offenbar. Solche retroviralen Gene können durch Mutationen auch wieder zu aktiven Viren werden, die sich verbreiten und Krankheiten auslösen. Manche Forscher vermuten, dass der Krebs des Tasmanischen Teufels auf solch eine Virusaktivierung zurückgehen könnte.
Beim Vergleich menschlichen Erbguts zeigt sich zudem, dass manchen
von uns Gene regelrecht fehlen, ohne dass sich Beeinträchtigungen feststellen lassen. Das Genom scheint damit ähnlich plastisch wie das Gehirn, wo gesunde Teile die Aufgabe von ausgefallenen bis zu einem gewissen Grad übernehmen. Das Konzept »Gen« verliert mehr und mehr seine Bedeutung. Nach Ansicht der amerikanischen Wissenschaftshistorikerin Evelyn Fox Keller spielen Gene heute in der Biologie eine ähnliche Rolle wie das ptolemäische Weltbild in der Astronomie vor Kopernikus.
Dazu kommt nach jüngsten Daten, dass die etwa 20500 menschlichen Gene nur anderthalb bis zwei Prozent unserer DNA ausmachen. Der gesamte Rest galt lange Zeit als »Junk«, als unbrauchbarer Müll. Wie vermessen, etwas, das man nicht versteht, einfach zu Abfall zu erklären. Aufgeweckte Biologen haben an dieser Deutung schon immer gezweifelt. Seit wenigen Jahren wissen wir, dass auch die »nicht-kodierende DNA« zwischen den Genen abgelesen wird, mehr noch, dass sie wesentlich für die Unterschiede zwischen Organismen verantwortlich ist. »It’s the junk that makes us human«, titelte die Zeitschrift »Nature« Anfang 2006, der genetische Müll macht uns erst zu Menschen.
Schon 1975 haben die amerikanischen Forscher Mary-Claire King und Allan Wilson vorgeschlagen, nicht nur Mutationen in Genen seien für komplexe Anpassungen verantwortlich, sondern auch Veränderungen in der Regulation der Gen-Aktivität. Ihre Prophezeiung hat sich in jüngster Zeit in revolutionären Entdeckungen mehr als bestätigt. Dabei kommt ausgerechnet dem »Müll« eine entscheidende Rolle zu. »Extraterrestrisches Leben zu finden hätte keinen größeren Schock verursachen können«, heißt es in »Newsweek« im Oktober 2007. Der britische »Economist« spricht von einem »Urknall der Biologie«.
Der Durchbruch gelingt mit der Entdeckung eines Schlüsselmechanismus, der »RNA-Interferenz«, 2006 mit dem Medizinnobelpreis bedacht. Ein Teil der »Junk-DNA«, vermutlich der größte, wird in kleine RNA-Schnipsel übersetzt, aber nicht weiter in Eiweiße. Diese »Mikro-RNA« wird selber aktiv und steuert die Übersetzung von DNA-Abschnitten in Eiweißstoffe. Sie sorgt dafür, dass Gene ganz oder teilweise abgeschaltet werden. Da sie »bestimmt«, was aus einem Genom wird, könnte sie helfen, eines der größten Rätsel der Biologie
zu lösen: Woher »weiß« eine Leberzelle eigentlich, was sie zu tun hat? Was macht eine Nervenzelle zur Nervenzelle, wo doch beide in ihrem Zellkern dasselbe Genom tragen?
Die Zahl unterschiedlicher RNA-Schnipsel dürfte die der Gene um ein Vielfaches übertreffen. In gewisser Weise »spielen« sie auf dem Genom wie ein Pianist auf einem Klavier und können ihm verschiedene Melodien entlocken. So entstehen hochkomplexe Muster aus »regulativer RNA«, deren eigene Regulation noch weitgehend unverstanden ist. Gleichwohl herrscht in der Biologie (und in der Pharmaindustrie) eine Aufbruchstimmung wie nach der Entdeckung der Doppelhelix. Mit der »RNA-Interferenz-Therapie«, so versprechen Forscher (und Investoren) uns, könnte so gezielt und individuell in zelluläre Abläufe eingegriffen werden, dass sich Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson verhindern oder sogar rückgängig machen ließen. Langjährige Zeitungsleser werden sich an ähnliche Versprechen erinnern. Für Vorhersagen ist die Methode noch zu jung.
Die Liste neuer Einsichten in die zellulären Abläufe ließe sich lange fortsetzen. Für das evolutionäre Geschehen haben besonders die Erkenntnisse der »Evo-Devo-Forschung«(für »evolution« und »development«) gravierende Folgen, die das Zusammenspiel genetischer Faktoren und deren evolutionäre Veränderungen bei der Entwicklung vom Ei zum fertigen Lebewesen untersucht. Dabei müssen Gene aktiviert und deaktiviert werden. Was der Niere recht ist, kann dem Herz
Weitere Kostenlose Bücher