Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
britischen Marine auf, der Kapitän rammt den Union Jack in den Korallensand und erklärt das Atoll zum Besitz der Krone. Den verdutzten Einwohnern wird als Urkunde eine
Holztafel überreicht. Unter dem weltbekannten Kürzel V. R. - für Victoria Regina - lesen sie: »Proklamation. Hiermit wird bekannt gegeben, dass diese Inselgruppe namens Cocos formell in Besitz genommen wurde im Namen Ihrer Majestät.«
Wenig später stellt sich der Staatsakt als Irrtum heraus. Der unterzeichnende Kapitän Stephen Grenville Fremantle hat sich schlicht in der Gegend vertan. Er hatte den Auftrag, eine andere Inselgruppe südlich von Indien mit gleichem Namen zu annektieren. Doch proklamiert ist proklamiert. 1886 überträgt die Königin die Besitzrechte für das gesamte Atoll unter britischem Schutz für immer an die Familie Clunies-Ross, inzwischen vertreten durch George, den Enkel von John.
Nach dessen Plänen entsteht das prächtige Oceania House, das noch immer in Nachbarschaft der malaiischen Siedlung am Ende von Home Island an der Lagune steht. Er lässt Schiffsladungen weiß glasierter Ziegel aus Britannien kommen und frische Muttererde aus Neuseeland, um seine Villa mit einem exotischen Park zu umgeben. Bis dahin wohnte die Familie in einem großen, scheunenartigen Haus, das an beiden Enden offen und mit Matten aus gewobener Rinde ausgelegt ist.
Unter Georges Sohn John Sydney rücken die Cocos-Inseln erstmals in den Fokus der globalen Ereignisse. Auf der heute unbewohnten Direction Island ist 1901 eine telegrafische Relaisstation eingerichtet worden, die England über Singapur mit Australien und Neuseeland verbindet. Heute verläuft auf der gleichen Trasse die Telefon- und Datenleitung zwischen Europa und den Commonwealth-Staaten.
Übergesetzt von einem Fischer, ging ich auf der Directioninsel an Land. Der Streifen trockenen Landes ist nur wenige hundert Yard breit . Einen Nachmittag habe ich das Eiland für mich allein. Robinsoninseltraum in Grün-Weiß-Türkis, den Internationalfarben aller Tropenparadiese. Im Innern verbanden sich die jungen und ausgewachsenen Kokospalmen … aufs Eleganteste zu einem Wald. Ein Strand aus glitzerndem weißen Sand bildete eine Grenze zu diesen zauberischen Orten.
Am Anleger ein Picknickplatz mit Tischen und Bänken unter einem Blechdach. Durchfahrende Segler haben Netzbojen daruntergehängt, Fender und Holzschilder mit Jahreszahlen und den Namen von Boot und Besatzung, Flaggen von Norwegen bis Brasilien, Flaschenpostflaschen,
Rettungsringe. Sogar eine Hängematte schwingt zwischen zwei Palmenstämmen. Die eigentliche Überraschung aber steckt in einem schlichten Verschlag aus Holz, auf einen Kasten aus weißem Blech geschraubt, der den Schriftzug der australischen Telefongesellschaft Telstra trägt: ein öffentlicher Fernsprechapparat.
Von Direction Island mit der Bevölkerungszahl null kann man in die ganze Welt telefonieren und sich mit etwas technischem Geschick wohl auch ins Internet einwählen. Wen soll ich anrufen? In Deutschland herrscht tiefe Nacht. Ich versuche es mit meiner eigenen Nummer. Es läutet. Ich höre den typisch deutschen Signalton, sehe meinen Schreibtisch vor mir, links das Telefon, wie es ins Dunkle klingelt, rechts das Glas mit den Stiften. So nah hat sich mein Herz auf der ganzen Reise trotz Mobil- und Satellitentelefonie nicht der Heimat gefühlt. Unter meinen Füßen sausen Wörter durch Kabel, Ferngespräche im schönen alten Sinn, aber auch elektronische Post, Börsendaten, militärische Geheimnisse, Urlaubsfotos, Warenbestellungen.
Was mit den ersten lokalen Telegrafenverbindungen in Darwins Tagen beginnt, hat sich zum globalen Nervensystem der Menscheinheit vernetzt. Damit hat HOMO SAPIENS seine kulturelle Evolution zu einem unvergleichlichen Gipfel geführt: Information kann im Prinzip in unbegrenztem Maß von jedem Punkt an jeden anderen befördert werden, die Menschheitsmaschine sich weltweit koordinieren wie ein Superorganismus. Als einzige Spezies können wir uns über den gesamten Planeten unmittelbar miteinander verständigen. Welch eine Chance für eine intelligente Art, gemeinsam Ziele zu verwirklichen, wenn sie das Zeitalter von Krieg, Gewalt und Unterdrückung hinter sich lassen könnte.
Im Jahr 1914 findet draußen vor den Inseln eine der frühen Seeschlachten des Ersten Weltkriegs statt. Der deutsche Kleinkreuzer SMS Emden, der bereits Dutzende Handelsschiffe in Südostasien versenkt hat, will die Relaisstation angreifen. Die
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